Ich habe nie erwartet, dass dies ein gutes Buch sein würde. Tatsächlich rechnete ich mit dem Schlimmsten, als ich es aus der Bücherei mitnahm – aber ich wollte einen Schmöker, in dem sich alte Familiengeheimnisse um ein noch älteres Haus ranken, und da erschien es mir geeignet. Es gibt viele solcher Haus-Geheimnis-Bücher, und sie machen mir für gewöhnlich zumindest Spaß. Ich mag geheimnisvolle Häuser. Und da es am Ende ohnehin an die Bücherei zurückgeht, kann es ruhig schlecht sein.
Nun hatte ich ja alle Allingham-Bücher in München zurücklassen müssen – bis auf Gefährliches Landleben, aber das kannte ich ja schon – und brauchte für die Rückfahrt etwas zum Lesen. Sechseinhalb Stunden Zugfahrt sind kein solches Vergnügen, wenn man nichts zu tun hat, und so nahm ich mir Das Haus der Sieben Elstern vor. Ich erwartete nichts – und das bekam ich dann auch.
Victoria Holt ist eine Autorin, die ihre Bücher gern in der Viktorianischen Ära ansiedelt – nicht aus historischem Interesse oder weil sie sich damit besonders gut auskennt, sondern weil sie dann ein Alibi hat, ihre Heldinnen in Krinolinen zu stecken und am Ende mit Mr. Right (oder in der Mitte mit Mr. Wrong) zu verheiraten, ohne dass man ihr Verrat an der Frauenbewegung vorwerfen müsste. Auch in diesem Buch ist die Ära mehr eine nominelle Sache, eine Phantasiewelt, in der alles irgendwie rosig ist und es die Hauptsorge greiser Pächterswitwen ist, dass man ihnen zum Geburtstag einen Mohnkuchen backt, wo sie doch lieber Marmeladenbrote essen wollen. Not und Elend? Fehlanzeige. Frostbeulen? Ebenfalls. Die Hausdiener fungieren als Vertraute ihrer Herrschaften, ehemalige Kindermädchen bekommen aus Dankbarkeit ein kleines Häuschen und eine Pension bis an ihre Lebensende – wo Charlies Doppelleben an zu viel Viktorianischem Realismus krankte, ist es hier eindeutig zu wenig. Warum besitzt die Autorin nicht die Ehrlichkeit, das Ganze Fantasy zu nennen?
Um etwas Positives über dieses Buch zu sagen: Es ist nicht so schlecht wie die Bücher der verstorbenen Virginia C. Andrews, die ich in meiner Jugend gelesen habe. Es ist aber leider auch nicht so spannend. Das angebliche Geheimnis liegt so sehr auf der Hand, dass nur die arme Heldin bis kurz vorm Ende im Dunkeln tappt – natürlich, was soll sie auch denken, wenn die verwirrte alte Frau immer auf den Maulbeerbusch starrt und murmelt: »Er ist nicht hier«? Ich zumindest würde mich auf die Suche nach einer Schaufel machen… Aber diese Heldin bohrt nicht und gräbt nicht und lässt sich am Ende von ihrem Göttergatten alles erklären, denn in der Liebe darf man keine Geheimnisse haben, und sie leben glücklich bis an ihr Ende –
Wirklich, ich hatte nichts Besseres erwartet.
Victoria Holt ist ein Vielschreiberin im Genre des geheimnisumwitterten Frauenromans. Ich besitze selbst zwei Bücher von ihr, die ich irgendwann mal umsonst abgegrabbelt, aber nie gelesen habe; zumindest eines davon werde ich mir wohl bei Gelegenheit vorknöpfen, denn es scheint von einem alten Familiengeheimnis zu handeln, das sich um ein noch älteres Haus rankt – aber die Autorin will sich ja nicht wiederholen. Und bei so vielen Frauengestalten gehen irgendwann die Namen aus, vor allem die Viktorianischen. Nur so kann ich mir erklären, warum Ms. Holt gezwungen war, die Heldin aus Seven for a Secret Frederica, kurz Fred, zu nennen, und ihre Freundin Tamarisk – aber ich hatte ihr ja bereits geraten, ins Fantasygenre zu wechseln.
Dorthin passt auch wieder der alte heidnische Brauch, Vögel orakelnd abzuzählen: One is for sorrow, two is for joy… – das kann man mit Elstern machen oder mit Krähen, ich würde aber in jedem Fall die Krähen vorziehen, denn ich habe noch nie genug Elstern auf einem Haufen versammelt gesehen, um bis Seven for a Secret zu kommen. Und in dem Genre bin ich auch als Leserin wohl besser aufgehoben. Ich sollte mal wieder Mervyn Peakes Gormenghast lesen. Da spielt nämlich das alte Haus die Hauptrolle, und wenn Fuchsia Groan bis sieben zählt, dann nicht mit irgendwelchen langweiligen Elstern… Genau. So werden wir das machen. Ich lese demnächst Gormenghast. Und Victoria Holt informiert sich mit Charlies Doppelleben darüber, wie es wirklich zuging in der Zeit, der sie ihren Vornamen verdankt.
Und wir alle sind glücklich und zufrieden bis an unser Ende.
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