Ob Der Hüter des Kelchs tatsächlich der direkte Nachfolger von Gefährliches Landleben ist, kann ich nicht genau sagen – er ist 1931 erschienen, wie auch Polizei am Grab, und die unterschiedlichen Bibliographien lassen jedem der beiden Bücher mal den Vortritt. Ich hoffe jedoch, die richtige Reihenfolge gewählt zu haben, und die Tatsache, dass Alberts Liebeskummer noch frisch ist, scheint mir Recht zu geben.
Auch ich hatte Kummer in Zusammenhang mit diesem Buch, musste ich es doch, auch wenn ich schon mehr als zwei Drittel davon verschlungen hatte, in München zurücklassen und bekam es erst am vergangenen Wochenende wieder, von Christoph ausgelesen. Und um mir wirklich noch weiter voraus zu sein, hatte er auch noch Polizei am Grab und Süße Gefahr fertig – Alberts Persönlichkeit scheint besorgniserregend auf ihn abzufärben. Doch ich konnte mich revanchieren: Wie durch Zufall hatte ich vergessen, ihm die weiteren Bände mitzubringen, so dass ich jetzt ein paar Wochen Zeit habe, mich durch die komplette Allingham zu arbeiten. Danach werde ich ihm die Bücher gerne für eine Weile überlassen. Solange es nicht wieder zehn Jahre dauert, bis ich sie noch einmal lese…
Wieder haben wir es mit dem Organisiertem Verbrechen zu tun – drunter macht der kleine Albert (wie er sich selbst gern nennt) es ja nicht. Diesmal also ein internationaler Ring von Kunstdieben, die exquisiteste, unbezahlbarste Kunstschätze (ja, ich weiß, unbezahlbar kann man nicht steigern, aber ist es nicht ein schönes Wort?) im Auftrag unsagbar reicher Sammler stehlen. Ein netter Ansatz, der Raum für viele, viele Bücher bietet. Und darum verzichtet Albert Campion hier auch darauf, den ganzen Ring und seine Drahtzieher hochgehen zu lassen (man kann auch sagen: Das ist mehrere Nummern zu groß für ihn), sondern beschränkt sich darauf, den Diebstahl eines speziellen Objekts zu verhindern. Was allein schon eine große Herausforderung ist.
Und wie er sich dabei anstellt, ist wieder ein köstliches Vergnügen. Wie im ersten Buch, gibt es auch hier Szenen, in denen er einen mittleren Hirnschaden zur Schau trägt – nicht nur, als der den jungen Helden mit einem grellrosa Kinderluftballon in der Hand empfängt. Er plaudert und plappert sich vordergründig um Kopf und Kragen, um in Wirklichkeit hinterrücks von seinen eigentlichen Vorhaben abzulenken. Und es gab Momente, in denen ich hellauf und laut lachen musste – was in einem durchaus ernsthaften Krimi nicht das Übliche ist. Ein köstliches Buch. Wiederum eine Schande, dass es nicht mehr aufgelegt wird.
ausgerechnet dem Diogenes Verlag muss ich aber hier Vorwürfe machen: Wie bei einem schlampigen Schnellschuss – den man von diesem Verlag ausgerechnet nicht erwarten darf – hat man es geschafft, den Namen des jugendlichen Helden im Klappentext falsch wiederzugeben. Denn dass Val Gyrth mit vollem Namen Percival heißt und nicht Valentine, ist sehr, sehr wichtig. Und dass er nicht die junge Valentine Gyrth ist, auch. Für den weiblichen Teil gibt es Vals Schwester Penny (nein, auch sie wird Campion nicht heiraten, aber diesmal will er das auch wohl nicht). Und für Val gibt es eine Beth. Campion kommt gut mit jungen Leuten zurecht… Aber der Name ist Percival, das ist wichtig. Nicht der Schutzpatron der Epileptiker. Der mit dem Gral.
Auch scheint mir die Übersetzung – diesmal von Edith Walter – nicht ganz so gelungen wie die des ersten Bandes. Das gilt allerdings nur im direkten Vergleich: Gegen ein beliebiges anderes übersetztes Taschenbuch ist es immer noch ein wirklich, wirklich gutes Buch. Auch sprachlich. Bis auf das Shakespearezitat im Titel, natürlich. Im Englischen heißt das Buch Look to the Lady – ein Ausruf aus Hamlet, als die Königin zusammenklappt, nachdem sie den für ihren Sohn bestimmten vergifteten Kelch geleert hat. Dass sich diese Anspielung (Achtung: Kelch!) im Deutschen nicht findet, ist natürlich schade. Aber bei Schlegel heißt es an dieser Stelle »Seht nach der Königin!« – was im Zusammenhang keinen Sinn macht. Dann doch lieber Der Hüter des Kelchs.
Was bietet uns das Buch noch? Schrullige Tanten. Entführungen. Briefe mit dem Namen des Helden, die zufällig zu seinen Füßen im Park herumliegen. Wilde Pferde. Hexen. Action. Autos. Schurken. Familiengeheimnisse. Monster. Alles, was ein Buch braucht…
Gefährliches Landleben war ein toller Auftakt, aber ich lege immer eine größere Aufmerksamkeit auf den Nachfolgeband. Wie wird das Konzept weitergeführt? Wird es aufgewärmt, breitgetreten und totgetrampelt? Oder gibt es Entwicklung, Neuerungen, Wagemut? Hier muss ich sagen: Ein würdiger Nachfolger. Und auch ein würdiger Wegbereiter für die Bücher, die noch folgen sollten. Ich freue ich schon darauf, mir den nächsten Fall für Orlando vorzunehmen. Alfred Campion. Albert, meine ich. Wen auch immer – ich werde es lesen. Und nicht erst in zehn Jahren.
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