Barbara Michaels: Haus der Wiederkehr

Auf den ersten Blick mangelt es diesem klassischen Schauerroman an nichts: Da gibt es ein geheimnisvolles Haus, eine Scéance, Besessenheit, echte Geistererscheinungen und ein düsteres Geheimnis. Auf den zweiten Blick fehlt dann aber doch etwas, und etwas Entscheidendes: Der Schauer selbst. Während der Lektüre vom Haus der Wiederkehr hatte ich für eine Dauer von ungefähr drei Minuten wirkliche Angst: Nämlich, als der ICE, in dem ich saß, durch einen sehr langen Tunnel fuhr, während plötzlich deutlicher Brandgeruch aus der Klimaanlage strömte. Und das hatte wahrlich nichts mit dem Inhalt des Buches zu tun.

Dabei ist mir wirklich leicht Angst zu machen, auch auf Zugfahrten. Zum Beispiel traute ich mich im Herbst 1995 nicht, in Köln-Mülheim aus der S-Bahn zu steigen, während ich Spuk in Hill House von Shirley Jackson las – denn dort hätte ich, um zur Bushaltestelle zu kommen, durch eine schlecht beleuchtete Unterführung gehen müssen: Allein die Vorstellung versetzte mich so sehr in Panik, dass ich lieber zehn Minuten weiter in der Bahn sitzen blieb, am Kölner Hauptbahnhof in eine U-Bahn stieg und einen Umweg von mehr als einer halben Stunde in Kauf nahm. So gruselig war dieses Buch. Über Haus der Wiederkehr lässt sich jedoch nur eine wirklich positive Sache sagen: Durch eine der in dieser Geschichte zahlreich gestreuten Anspielungen habe ich von einem weiteren Buch Shirley Jacksons erfahren, das ich noch nicht kenne: The Sundial. Das könnte ein wirklich guter Schauerroman sein. Und Hill House sollte ich auch mal wieder lesen.

Wenn es ein Wort gibt, an dem man das Scheitern von Haus der Wiederkehr festzumachen, dann ist es »zerredet«. Die vier Protagonisten palavern drauflos, als befänden sie sich in einem WDR-Hörspiel, reihen munter Theorie an Theorie und lassen sich auch durch gelegentliche Geistererscheinungen niemals wirklich in Fahrt versetzen. Anstatt auch nur einmal eine richtige Stimmung aufzubauen, innezuhalten, und zu warten, wird jede Atempause für ein neues Wortgeplänkel zwischen Skeptiker und Esoteriker genutzt, und jeder Effekt ist dahin.

Grusel wird im Film vor allem durch Musik, in Geschichten durch Andeutungen erzeugt – alles, wo die Phantasie des Zuschauers oder Lesers in die Bresche springt, um die vorgeblichen Lücken mit Details und Vorahnungen auszufüllen: Angst hat immer nur vor dem was kommt, nicht aber vor dem was ist. Doch in diesem Buch fehlt jede Bedächtigkeit. Stattdessen flößt die Autorin ihren Helden solch unglaubliche Mengen Alkohols ein, dass von der zweiten oder dritten Seite an niemand mehr ohne Sherry- oder Brandyglas ist, so dass selbst die Heldin am Ende meint, bei längerer Dauer des Abenteuers wären sie wohl alle zu Alkoholikern geworden – und alle nicken, und weiter geht der Dialog.

Und auch Spannung kommt keine auf – zumindest nicht dann, wenn man den Klappentext gelesen hat. Denn dort (nicht auf dem Buchrücken, sondern in der ausführlichen Inhaltsangabe auf dem Vorsatzblatt) steht schon alles, was man über das Buch wissen muss, bis hin zu den obligatorischen Leichen im Keller, die tatsächlich erst auf Seite 243 von 251 gefunden werden. Warum noch lesen, wenn es verlagsseitige Nacherzählungen gibt? Das ist ebenso ähnlich wie ein Krimi, der auf der Buchrückseite den Mörder verrät… Leser des amerikanischen Originals haben es ähnlich schwer: Dort heißt das Buch Ammie Come Home – kein guter Titel, wenn die handelnden Figuren über weite Strecken den Namen Sammie aus dem geheimnisvollen Rufen im Hinterhof heraushören und ein größeres Geheimnis aufgedeckt werden muss, bis überhaupt der Name Ammie ins Spiel kommt.

Auch ansonsten ist Haus der Wiederkehr stilistisch keine Offenbarung, und das liegt ausnahmsweise nicht einmal an der Übersetzung. Auch wenn die nicht wirklich preisverdächtig ist: Die Übersetzerin hat sich die Mühe gemacht, die deutschen Titel der Werke herauszusuchen, auf die im Verlauf der Handlung angespielt wird – das ist mehr, als man sonst von einer lieblos heruntergeschriebenen Auftragsübersetzung erwarten kann. Doch es fehlt Pfiff, Wiedererkennungswert oder auch nur eine tiefergehende Charakterisierung der Hauptfiguren, die über die Beschreibung von Kleidung und Frisuren hinausginge. Zwar hat alles eine Farbe, doch nichts einen Geruch, und da helfen auch nicht die vollmundigen Kritikerstimmen, mit denen der Heyne-Verlag den Einband garniert hat: Wenn Marion Zimmer Bradley die Autorin »die beste ihrer Art in diesem Jahrhundert« nennt und Mary Higgins Clark eine »unübertreffliche Erzählerin« aus Barbara Michaels macht, dann macht mir das nicht nur wenig Lust auf weitere Michaels-Bücher (auch wenn noch eines auf meinem Lesestapel liegt), sondern nimmt mir auch jedes Interesse an den Werken von Higgins Clark oder Zimmer Bradley. Oder auf Barbara Mertz und Elizabeth Peters, andere Namen der schreibfreudigen Ägyptologin (ca. 55 Romane plus diverse Sachbücher).

Aber keine Kritik ohne Lob: Wenn es eine Sache gibt, die diese Autorin beherrscht, ist es Recherche. Man merkt, dass sie sich mit der Geschichte von Washington-Georgetown ausführlich befasst hat, und die Beschreibung der alten Häuser macht fast Lust, diese Stadt doch einmal zu bereisen. Auch die historische Einordnung erfolgt recht präzise, auch wenn man als Leser nachrechnen muss: Bei einem Buch, dass 1986 erschienen ist, erwarte ich automatisch, dass es auch in dieser Zeit spielt, es sei denn, man überzeugt mich vom Gegenteil. Hier wird erst relativ spät klar, dass die Handlung 1967 angesiedelt ist: Die Beatles haben ihren Durchbruch in Amerika, die Studenten protestieren gegen Vietnam, und auch alle Bücher und Filme, auf die Bezug genommen wird, gibt es bereits. Auch die ausführlich beschriebenen Kleider passen perfekt in die Zeit – nur all das bedeutet mir als Leser weniger als eine überzeugende Handlung, und Michaels hätte sich lieber mehr dem Inhalt und seiner Aufmachung gewidmet als diesem Lokalkolorit.

Und so ist am Ende alles, was vom Haus der Wiederkehr zurückbleibt, ein austauschbarer deutscher Titel und die Erinnerung an das ungruseligste Gruselbuch, das ich jemals gelesen habe: Die erste Gespenstergeschichte, die es an Schockeffekten nicht mit dem Quietschen eines Schnellzugs aufnehmen konnte.

Nachtrag: Das mit dem liebevoll recherchierten Sechziger-Jahre-Hintergrund muß ich leider wieder zurücknehmen: Die Autorin hatte keine andere Wahl. Einem Blog, in dem über dieses Buch diskutiert wurde, habe ich entnommen, dass es bereits 1968 veröffentlicht wurde. Es spielt also zu der Zeit, in der es entstand. Und die Auskunft 1986 in der deutschen Ausgabe ist schlichtweg falsch.

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert