Ich hatte schon als Kind Probleme, an einem Bücherstand vorbeizugehen – die Kombination aus Buch und Flohmarkt war unwiderstehlich: Da gab es nicht nur Schnäppchen – da gab es vor allem einmalige Chancen, ein Buch zu bekommen, das es vielleicht gar nicht mehr gab! Und so hörte ich mit gut neun Jahren auf, mir von meinem Taschengeld Eis zu kaufen, und wandelte es lieber in Bücher um. Früher hätte es auch wenig Sinn gemacht, aber mit neun Jahren bekam ich 1,25 DM pro Woche, und das entsprach etwa einem Flohmarktbuch. Oder, wenn ich das Geld sparte, konnte ich mir einmal im Monat ein neues Taschenbuch kaufen – was ich eher selten tat, gemessen daran, dass ein neues Buch so viel kostete wie fünf vom Flohmarkt.
Und so kamen einige seltene und einige seltsame Schätze zusammen, Kinderbücher aus verschiedenen Jahrzehnten, die heute gesuchte Sammelstücke sein könnten – wenn es sich nicht bei einem Großteil von ihnen um aussortierte Exemplare aus der Pfarrbücherei handelte. So viele Flohmärkte gab es bei uns auf dem Dorf nämlich nicht. Trotzdem, ich habe diese Bücher alle noch und bin doch sehr zufrieden mit meinem neunjährigen Geschmack. Wenn ich krank werde und mit Fieber im Bett liege, mache ich mich bevorzugt über meine alten Kinderbücher her – Bücher, die ich schon oft oder zumindest mehrmals gelesen habe, die keine großen und anstrengenden Überraschungen mehr bieten und dafür anständige Unterhaltung liefern. Vor allem jetzt, wo mich die Grippe gepackt hat und wir keinen Fernseher mehr haben. Hätte ich sonst den ganzen Tag lang Talk- und Gerichtsshows geglotzt, lese ich mich nun also querbeet durch meine Kindheit und lande so bei Büchern, die ich schon jahrelang nicht mehr von innen gesehen habe, so auch bei dem vorgeblichen Blyton-Verschnitt Auf geheimnisvoller Spur
Tatsächlich ähnelt dieses Buch in vielerlei Hinsicht einem Erguss der legendären britischen Vielschreiberin – schon der Originaltitel The Islanders follow a clue zeigt, dass es sich ursprünglich um einen Reihentitel handelt. Von den ursprünglich fünf Bänden, die ab 1949 in England erschienen, wurde aber nur das vierte ins Deutsche übersetzt – was es mit den anderen auf sich hat, ist nur über britische Antiquariate zu erfahren.
Auch in der Konstellation »Eine Gruppe von fünf Geschwistern erlebt in den Ferien ein spannendes Abenteuer« klingt das Ganze noch sehr nach Enid Blyton. Doch diese fünf Kinder, im Alter zwischen neun und sechzehn Jahren, verhalten sich sehr unblytonesk – indem sie nämlich nicht als eingeschworene Gruppe durch dick und dünn gehen und so allen erwachsenen Schuften ein Schnippchen schlagen, sondern indem sie weite Teile des Buches über Geheimnisse voreinander haben. Nur die drei jüngeren Kinder – die kleine Jane und die Zwillinge Jack und Jill – erforschen die geheimnisvollen Fußspuren und das Verschwinden eines Jungen, während sie ansonsten mehr damit beschäftigt sind, die großen Geschwister und auch die Eltern nichts von ihren detektivischen Aktivitäten ahnen zu lassen, als irgendwelche Schufte fernzuhalten.
So liest sich das Abenteuer angenehm unspektakulär – nachdem es dramatisch mit einem unbemannt über den See treibenden Boot beginnt und uns zwischendurch auch noch mit einem wilden Stier aufwartet, ist das eigentliche Geheimnis eines von der zahmeren Sorte, und die Fünf Freunde wären dafür wahrscheinlich noch nicht einmal aufgestanden. Umso mehr merkt man der Autorin aber an, dass sie weiß, wovon sie schreibt – bei den Ruder- und Segeltouren auf dem großen See sitzt jeder nautische Fachbegriff so fest, dass ihn junge Leser in einem eigenen Glossar nachschlagen dürfen. Und so habe auch ich von diesem Buch im Alter von neun Jahren gelernt, was ein Dinghi ist, und es niemals wieder vergessen.
Auch die Schilderungen des ländlichen Großbritanniens sind sehr schön – vermisst habe ich leider eine Einordnung, in welcher Gegend die Geschichte denn nun spielt. Das Buch hat zwar eine hübsch gezeichnete Karte der kleinen Insel, auf der die Familie ihre Ferien verbringt, doch in welchem See diese liegt, oder wo dieser See liegt, wüsste ich als Britannienfreund doch ganz gerne. Ich nehme an, die Lösung liegt in einem der ersten drei Bände, auf die hier ärgerlich oft angespielt wird – deswegen ärgerlich, weil kein deutsches Kind je die Chance bekommen hat, auch diese anderen Abenteuer zu lesen, außer vielleicht irgendwann einmal auf Englisch.
Erfreulich ist auch die Darstellung der Kinder, die alle solide und robust geraten sind – auch die Mädchen. Die Aufteilung wie bei Blyton, wo typischerweise ein wildes jungenhaftes und ein zahmes mädchenhaftes Mädchen (George und Anne, Dinah und Lucy) nebeneinandergestellt wurden und im Zweifelsfall immer alle beide vom großen Bruder/Vetter zu beschützen waren, gibt es hier nicht. Die jüngere Jane ist belesen und tierlieb, die größere Jill ist rabaukenhaft und das, was der Brite einen Tomboy nennt, die große Schwester Alison ist vernünftiger, gesetzter und backt hervorragende Kuchen – aber fimschig oder klischeehaft ist keines der gummistiefelgewandeten Mädchen. Niemand quietscht oder kreischt: Bei einem Buch aus dem Jahr 1952 ist das eine Seltenheit, wenn es um Mädchen in Abenteuern geht.
Und auch wenn der Plot dann ziemlich vorhersehbar ist, selbst für belesene Kinderaugen, macht das Buch doch Spaß genug, um auch heute noch durchaus empfohlen zu werden. Nichts, wofür man eine Jagd durch die Antiquariate veranstalten müsste, nichts, wofür es sich lohnt, viel Geld auszugeben – aber wenn man einmal zufällig drüber stolpert, so wie ich jetzt in meinem eigenen Bücherregal, dann ist es doch an kalten, nassen, trüben Tagen gern eine kleine Lektüre wert.