Seit jeher bekommt man mich mit einer guten Geistergeschichte immer zu packen. Schon als Kind war ich Fan von Geister und Skeletten und Spukhäusern, und ich liebte es, meiner jüngeren Schwester abends Schauergeschichten vorzulesen – während meine Schwester das gar nicht so sehr liebte und mir heute noch manchmal vorwirft, was für Alpträume und schlaflose Nächte sie deswegen durchstehen müsste. Da meine Schwester auch noch Anna heißt, weiß ich jetzt schon, dass dieses Buch nichts für sie wäre, während ich schon dem Titel nicht widerstehen konnte. Beworben als klassische Junge-trifft-Mädchen, Mädchen-tötet-Leute-Geschichte, schraubte sich Anna Dressed in Blood ganz nach oben auf meine Das-muss-ich-lesen-Liste, auch wenn es bedeutete, zwei Wochen länger auf die Buchbestellung, in die ich meine Steuerrückzahlung umgewandelt hatte, warten zu müssen, weil ausgerechnet dieser Titel gerade nicht lieferbar war. Das Paket kam, endlich, ich fing an zu lesen, und da, als ich mitten in der Nacht die Zimmertür meines Freundes gehen hörte, laut schrie, als mir der dunkle Schatten im Flur entgegen kam, denke ich, als Gruselroman hat dieses Buch seinen Zweck sicher gut erfüllt. Und doch, es krank an den verschiedensten Stellen, und ein richtig gutes Buch ist es sicher nicht geworden.
Schon von der Prämisse her klingt die Geschichte so sehr nach der Fernsehserie Supernatural, dass ich geneigt bin, an einen Abklatsch zu glauben. Cas jagt Geister wie sein Vater vor ihm und alle anderen Vorfahren, und da ein namenloses Übel vor zehn Jahren den Vater zerfleischt hat, war der Junge gezwungen, schon als Teenager dem Ruf des Blutes zu folgen und sein Erbe anzutreten. Bewaffnet mit dem Messer seines Vaters und seiner Herdhexen-Mutter, die ihn mit Schutztalismanen ausstattet, damit er sicher wieder nach Hause kommt, nimmt er es mit mörderischen Geistern auf, bis er in der übermächtigen untoten Anna erst seinen Meister und dann die große Liebe findet. Ehrlich, das könnte ebenso gut eine Folge aus dem Leben der Winchester-Brüder sein, so wenig musste an den Grundlagen geändert werden, und da Cas erschwerend wenige eigene Charakterzüge an den Tag legt, kann er wirklich als verschollener dritter Bruder durchgehen. Aber wo Sammy und Dean eine knappe Dreiviertelstunde haben, um einen Geisterplot aufzulösen, hat Cas knapp über dreihundert Seiten zur Verfügung – und für eine letztlich einfache Geistergeschichte ist das am Ende dann doch zu viel.
Das Buch, daran gibt es keinen Zweifel, ist spannend geschrieben. Erst ist es ein wenig gewöhnungsbedürftig – hat man sich damit abgefunden, dass es nicht in schwarzer Tinte gedruckt ist wie andere Bücher, sondern in einem dunklen Rotbraun, das an geronnenes Blut erinnern soll und stattdessen Erinnerungen weckt an die in Grün und Pink gedruckten alten deutschen Ausgaben von Douglas Adams Per Anhalter durch die Galaxie, stolpert man darüber, dass es im Präsens geschrieben ist, was die Lektüre immer etwas sperrig macht. Doch nach den ersten Seiten, den ersten paar Kapiteln, hat man sich eingelesen und ist gepackt von der Erzählung, die so unmittelbar und lebendig ist, als ob sie gerade in diesen Momenten passieren würde, und wird ganz in ihren Bann gezogen. Oft gehen solche Experimente daneben, aber hier ist es einmal gut geglückt. Außerdem können so die durchaus zahlreichen Rückblenden, in denen der Tod von Cas’ Vater thematisiert wird, in der einfachen Vergangenheit erzählt werden, ohne jemals in die sprachlich unschöne Vorvergangenheit ausweichen zu müssen. Wenn ich ein Buch in die Hand nehme und nicht eher beiseitelege, als bis ich am Ende angekommen bin, spricht das immer für das Buch.
Und doch ist das letzte Drittel des Buches letztlich ein ärgerlicher Wurmfortsatz einer ansonsten in sich abgeschlossenen Geschichte. Steht erst die Frage im Mittelpunkt, was Anna von anderen Geistern unterscheidet und sie, gegen ihren eigenen Willen, in eine furiose Göttin des Todes verwandelt, die jeden, der es wagt, ihr Haus zu betreten, in handliche Stücke reißt, wird dieser Plot nach gut zweihundert Seiten nicht undramatisch aufgelöst, in einer Szene, die ein wirklich spannendes Finale abgegeben hätte. Doch damit ist es nicht vorbei. Nur ist die Luft raus, als sich die Geschichte in einen unnötig blutigen Teenieslasher-Horror verwandelt, während Cas viel Zeit eingeräumt wird, mit der inzwischen erlösten Anna erst zu sympa- und dann zu romantisieren, nur damit er dann von seiner eigenen Vergangenheit eingeholt wird – und als Leserin habe ich das Gefühl, dass die Autorin sich nicht entscheiden konnte, welche Geschichte sie nun eigentlich erzählen will. In meinem ersten abgeschlossenen Roman habe ich genau diesen Fehler gemacht, meinen Hauptplot auf halber Strecke zu verlieren und mich auf einen Nebenschauplatz zu stürzen, und so wirkt auch der Handlungsaufbau von Anna Dressed in Blood.
Wäre die Geschichte von Cas damit zu Ende erzählt – schließlich löst er am Ende auch noch das Geheimnis um den Tod seines Vaters – wäre das vielleicht noch in Ordnung, aber wie ich gesehen habe, ist schon die Fortsetzung für nächstes Jahr angekündigt, und da frage ich mich ernsthaft, was will mir die noch erzählen? Hätte Kendare Blake nicht versucht, alles in ein Buch zu quetschen und Cas’ Plot so komplett aufzulösen, dass all seine Ziele erreicht, seine Fragen beantwortet sind, hätte es vielleicht den Auftakt einer netten Reihe abgegeben. So weiß ich jetzt schon, dass mich diese Fortsetzung nicht mehr interessiert. Da schaue ich lieber noch ein paar Staffeln Supernatural. Da wissen die Autoren zumindest, wie man den Folgenplot und den Metaplot geschickt miteinander vermischt, dass nicht zwei dicke Hunde in einer Episode geschossen werden müssen. Anna oder Vater – niemand hätte es dem Buch übelgenommen, wenn Cas am Ende immer noch nicht viel weiter ist mit der Frage, was denn nun die Stücke aus seinem Vater gerissen hat. Aber ich nehme es dem Buch übel, dass es gleich alles auf einmal wollte.
Dazu kommt eine gewisse dramaturgische Unzuverlässigkeit. Es werden Behauptungen aufgestellt und nie wieder aufgegriffen – so hört Cas von seinem Auftraggeber, dass Anna in den letzten Jahren sechsundzwanzig lokale Teenager getötet hätte und niemand weiß, wo genau sie ihr Unwesen treibt – vor Ort angekommen, ist es dann aber doch nur ein hundsnormales Spukhaus, in dem nur die üblichen Landstreicher auf der Suche nach einem Unterschlupf getötet worden sind. Oder es wird thematisiert, dass Anna in der letzten Zeit immer schlimmer wird und die Kontrolle über sich mehr und mehr verliert – was dann weder erklärt wird, noch jemals wieder angesprochen, als Annas Geschichte aufgelöst wird. Auch die Frage, wie sie auf dem Rückweg vom Tanz mit aufgeschlitzter Kehle im Freien enden konnte, wenn sie in einem Haus umgebracht wurde und tatsächlich niemals beim Tanz war: Zeugenaussagen? Ermittlungen? Spurensicherung? Und wieso versagt im Showdown ausgerechnet Cas’ Leber? Vieles in diesem Buch ergibt keinen Sinn, und man hat das Gefühl, dass willkürlich Motive eingestreut werden, welche die Handlung spannender machen sollen, ohne sich die Mühe zu machen, diese Punkte wieder aufzulösen – so fühlt sich am Ende auch die Spannung billig an, und ich, die ich mich habe fesseln lassen, fühle mich verschaukelt und verkauft.
Auch die Details wollen nicht so Recht stimmen. Dass Annas Familie ausgerechnet aus Finnland stammen soll, dabei aber einen russischen Namen hat und auch die Vornamen von Anna und ihrer Mutter Malvina nicht nach Finnland passen wollen – warum muss es dann ausgerechnet Finnland sein? Hat die Autorin eine Wette verloren? Oder gibt es doch so viele Exil-Finnen in Ontario? Mittendrin müssen dann noch ein paar andere Geister unmotiviert erledigt werden, als ob sonst nicht genug Action und/oder Geister in der Geschichte sind. Dazu gehen zwischendurch Nebenfiguren verloren, nur um am Ende schnell umgebracht zu werden, damit ihr Fehlen nicht so ins Gewicht fällt, und die anderen Figuren bleiben blass und schematisch – das Football-Arschloch, die Prom-Queen, der Nerd, damit auch wirklich alle Highschoolklischees erfüllt werden können. Was fehlt, sind echte Konflikte, dabei hätte man so viel machen können aus der Geschichte eines Geistermörders, der sich in sein Opfer verliebt: Ohne die Erlösung, die Anna als reines untotes Seelchen zurücklässt, ohne den unnötigen Schluss, ohne die billigen Effekte.
Was bleibt am Ende? Schrecken um Mitternacht, wenn der Freund zur Toilette geht, ohne das Licht anzuschalten, und einen armen Buchmenschen an den Rand des Herzinfarktes bringt – also, was den Gruselfaktor angeht, hat Anna Dressed in Blood alles richtig gemacht. Aber ein Buch muss nicht nur gruselig sein, sondern auch gut. Nur wenn beides stimmt, werde ich mich auch in zehn Jahren noch an die Geschichte erinnern, so wie damals, als mich Shirley Jacksons Spuk in Hill House um Schlaf und Seelenruhe gebracht hat. Sonst verfliegt der Grusel genau schnell, wie er gekommen ist, und alles, was zurückbleibt, ist das Gefühl, eine mittelmäßige Supernatural-Episode gesehen zu haben, die versucht, trotz Autorenstreiks schnell noch die Staffel zu Ende zu bringen – nur um dann doch noch überraschend verlängert zu werden. Die Autorin hätte besser an ihre eigenen Fähigkeiten geglaubt, auf die plumpen Effekte verzichtet und darauf gebaut, dass sie in jedem Fall die Fortsetzung schreiben darf – dann würde sie mir nächstes Jahr noch ein Buch verkaufen. So aber belasse ich es bei diesem einen. Denn noch so eine Geschichte brauche ich nicht – da lese ich mich doch lieber nochmal durch Shirley Jacksons Oeuvre.