Gerade weil mir der erste Band von Mara Purnhagens Geisterjägerreihe, Past Midnight, wirklich gut gefallen hatte und ich nach der letzten Enttäuschung wieder etwas echtes Grusel brauchte, hatte ich es eilig, nun auch das zweite Buch um Charlotte Silver und ihre geisterwiderlegenden Eltern zu lesen. Zweite Bände haben es ja immer besonders schwer, das weiß ich auch als Autorin: Sie müssen den Geist des ersten spüren lassen, den vertrauten Figuren neue Aspekte abgewinnen und eine Handlung haben, die nicht nur ein Abklatsch des ersten Teils ist, sondern neu und eigenständig und am besten nochmal viel besser als Band eins sein, damit man dann erst recht bereit ist, noch ein drittes, viertes, fünftes Buch zu lesen. Das gilt für Krimireihen um Seriendetektive ebenso wie für Geisterjäger, und da ich selbst gerade an einer Geisterjäger-Serie arbeite, war ich um so neugieriger zu sehen, wie das hier umgesetzt wurde. Man kann eine Reihe wirklich so fortführen, dass die Leser sehnsüchtig auf das nächste Abenteuer warten. Aber leider kann man auch völlig ins Klo greifen und sein Konzept vor der Zeit abschlachten. One Hundred Candles, interessanterweise, tut beides.
Gut an diesem Buch ist die Art, wie die Handlung fortgeführt wird, und der neue Geisterplot ist erfrischend anders als das, was im ersten Buch passiert ist. Gruselig, mit ein paar falschen Fährten und Dingen, die nicht so sind, wie sie scheinen, auch wenn ich das Ganze schnell durchschaut habe. Aber krankte Past Midnight schon an einem überhasteten Schluss, ist hier das Ende geeignet, die ganze Reihe zu ruinieren, und auch wenn ich den dritten Band noch nicht gelesen habe, kann ich mir nicht mehr vorstellen, dass danach noch weitere Bücher kommen können. Purnhagen macht den gleichen Fehler wie Kendare Blake in Anna dressed in Blood: Eigentlich gibt es genug Ansatzpunkte, um eine längere spannende Reihe am Leben zu halten, und die Ideen sind gut – und dann wird alles auf einen Schlag verheizt. Ja, ich möchte noch wissen, wie die Geschichte ausgeht – aber das ist es eben, ich weiß, dass sie ausgeht und nicht noch länger weiter. Wo ich meine Seriendetektive mag, Albert Campion bis ins Rentenalter begleitet habe und Lord Peter zumindest bis zur Ehe, dominiert hier wieder wie in der klassischen Fantasy die Trilogie, obwohl das nicht Not getan hätte.
So viel geben Charlottes Eltern her, die Geisterzweifler, die plötzlich mit echten Geistern konfrontiert werden, dass sogar die Ehe drunter leidet – Vater Silver hält daran fest, dass es nur zurückgebliebene Energien geben kann und weiß doch nicht, wer da vor Jahren an ihm vorbeigeschwebt ist und vernehmlich »Entschuldigung« geflüstert hat (leider, Ende des Buches wird genau das erklärt, und das werfe ich der Autorin vor), während Mutter Silver plötzlich auf dem Esotheriktrip ist und Tochter Charlotte über ein paar freundliche Hexen mit Schutztalismanen eindeckt. Natürlich, Charlotte wird sie brauchen, aber es treibt einen interessanten Keil in die Familie und gibt den Figuren Raum zum wachsen. Es muss ja nicht jede Serie so statisch und entwicklungsarm sein wie das, was uns Enid Blyton hinterlassen hat, aber gerade weil es diese Entwicklungen gibt, wäre ich froh, sie über einen längeren Zeitraum verfolgen zu können. Man metzelt nicht die wiederkehrenden Figuren seiner Serie nieder. Wirklich, sowas tut man nicht.
Aber statt eine interessante Geistergeschichte aufzudecken und sich darauf zu konzentrieren, was für Spuke die Highschool heimsuchen, nachdem die Jugendlichen auf einer Party Geisterbeschwören gespielt haben, und warum es überhaupt soweit gekommen ist, muss Charlotte es außerdem noch mit einem Erzdämon zu tun bekommen, der vor nichts Halt macht und am Ende allen Plot unter sich begräbt, was schade ist für das zarte Gespinst aus Horror und Psychologie, das Purnhagen da aufgestellt hat. Wer es mag, wenn Geister nur angedeutet sind, will nicht durch literweise Blut waten und Hirnmasse von der Wand kratzen, und umgekehrt, wer auf diesen blutigen Horror steht, will sich nicht durch drei Viertel Subtilität arbeiten müssen. Ich habe auch nicht das Gefühl, dass sich die Autorin in diesem Actionszenario sonderlich wohlgefühlt hat, so überhastet galoppiert sie durch das Showdown, und so schnell verfeuert sie ihre Plotelemente, als könne sie es nicht erwarten, Charlotte und ihre Abenteuer wieder loszuwerden. Danach kann nichts mehr so sein, wie es war.
Ein ärgerliches Buch also? Eben nicht. Denkt man sich den Schluss weg, hat man ein schönes, spannendes Buch mit interessant gezeichneten Figuren. Es gibt mehr Romantik als im ersten Band, die sich ein wenig aufgedrückt anfühlt und mir in Past Midnight nicht gefehlt hat, aber die Geschichte ist straff erzählt, es gibt keine überlangen Rückblenden und Zeitreisen, dafür ganz viel Grusel und Spukphänomene, die echt sein können oder doch nur clever konstruierte Fälschungen, oder am Ende beides. Das ständige Ratenmüssen, was echt ist und was nicht, tut dem Buch gut und steigert die Spannung. Doch wie es auch bei Fernsehserien oft vorkommt, gibt es einen A-Plot (die Geschichte mit den einhundert Kerzen und ihre Folgen) und den B-Plot (den Erzdämon und den armen Kerl, der von ihm besessen ist), und ausgerechnet die Verquickung von beidem ist das, was Probleme bereitet – nicht von der Konzeptionierung her, sondern von der Ausführung. Da wirft Purnhagen plötzlich einen ganzen Plotbogen weg mit der Erklärung, so schlimm wäre dieser Spuk nun doch nicht, und es wird sich nicht mehr drum gekümmert, während der Dämon die andere Plothälfte niedermetzeln darf.
Unterm Strich, denke ich, hat mir One Hundred Candles besser gefallen als das erste Buch – der Spuk war präsenter und interessanter, der Plot nicht ganz so durchsichtig, und die Entwicklung hat den Charakteren auch gut getan. Von mir aus braucht Charlotte keine Romanzen, auch wenn sie jetzt eine hat, und von mir aus hätten nicht ganz so viele Elemente der Rahmenhandlung abgearbeitet werden müssen – es ist nicht so, dass ich will, dass eine Reihe auf der Stelle tritt, aber jetzt gibt sie wirklich nur noch ein dramatisches Finale her und sonst nicht mehr viel, und auch einen A- und einen B-Plot wird es wohl nicht mehr geben. Trotzdem, der dritte Band wird bald gelesen, und ich denke, wenn ich mal einen Kindle habe, werde ich mir die Ebook-exklusiven Zwischenbände auch noch zu Gemüte führen. Mara Purnhagen kann schreiben und recherchieren, und vielleicht hat sie mit ihrer nächsten Reihe das Glück, etwas mehr Werbeetat abzubekommen und es vielleicht doch auch mal mit einem Buch auf den deutschen Markt.