Geraldine Harris: The Children of the Wind

Mit Erinnerungen ist das so eine Sache. Während ich mich bei der Lektüre von Prince of the Godborn noch an ziemlich viel von dem, was ich zuletzt vor fünfundzwanzig Jahren gelesen hatte, erinnern konnte, wusste ich vom zweiten Seven Citadels-Buch, The Children of the Wind, praktisch nichts mehr – nur an eine Nebensächlichkeit konnte ich mich noch erinnern, Fetzen eines Dialoges, ansonsten war alles so neu für mich, als hätte ich es nicht bereits zweimal zuvor gelesen gehabt. Und so habe ich das Buch gelesen, als hätte ich die frischen Augen eines Erstlesers, und die Spannung hatte mich von der ersten bis zur letzten Seite.

Das ging sogar schon los, bevor ich das Buch auch nur angefangen hatte. Noch während ich damit beschäftigt war, mich durch The Girl with Glass Feet zu quälen, habe ich die – oder besser, eine mögliche – Handlung von Children of the Wind geträumt. Dass ich von einer Geschichte, die ich lese, träume – sowas ist mir seit vielen, vielen Jahren nicht mehr passiert. Und nachdem ich beim Prince of the Godborn ja gar erst nicht mehr so sicher war, ob ich die Reihe überhaupt noch mochte, zu groß erschienen mir die handwerklichen Mängel des Buches, bin ich jetzt, nur einen Band später, wieder völlig verliebt in die Sieben Zitadellen.

Ich muss nicht mehr am Geschmack meines siebzehnjährigen Ichs zweifeln, und nicht an dem meines vierundzwanzigjährigen – heute bin ich doppelt so alt wie damals und würde mich doch am liebsten eher heute als morgen an eine Fanfiction machen. Und das, obwohl ich überhaupt keine Fanfictions schreibe. Einmal habe ich das getan, für das Computerspiel Dragon Age: Origins – jetzt hat mich eine mehr als vierzig Jahre alte Fantasyserie so sehr gepackt, dass ich gar nicht warten kann, wie es weitergeht. Ich bin wieder ganz verliebt in diese Geschichte, in die Figuren, und überhaupt in das Lesen, und ein Buch, das so etwas mit mir machen kann, werde ich so schnell nicht wieder vergessen.

Dabei ist The Children of the Wind kein perfektes Buch. Wie für Mittelteile von Fantasy-Mehrteilern üblich, leidet es unter einem zu offenen Anfang und Ende und hat keinen geschlossenene Handlungsbogen, sondern umfasst mehrere Etappen der Reise, die Prinz Kerish-lo-Taan und sein Halbbruder Forollkin unternehmen – jede einzelne der sieben Zitadellen hat einen Monster-of-the-Week-Charakter, und nachdem im ersten Band die ersten beiden abgeklappert worden sind, kommt hier die Nummer drei an die Reihe sowie Abenteuer auf dem Weg zu Nummer vier.

Auch der rote Faden, der sich durch das ganze Buch zieht, der schwelende Konflikt zwischen den Brüdern, setzt nur da wieder an, wo der im ersten Band aufgehört hat. Da hilft auch keine »Was bisher geschah«-Zusammenfassung zu Beginn des Buches: Die einzelnen Bände der Sieben Zitadellen sind nicht dafür gemacht, unabhängig voneinander gelesen zu werden, und sollten am Besten in einem Rutsch durchgearbeitet werden. Wobei die Arbeit zumindest für mich in diesem Fall ein großes Vergnügen war.

Anfangs des Buches habe ich noch sehr gezweifelt an der Entscheidung der Autorin, die Reisegruppe um ein weiteres permanentes Mitglied zu erweitern. Schon am Ende von Prince of the Godborn wurde Gidjabolgo eingeführt, der Reisekamerad, die die Brüder vom Magier Ellandis buchstäblich aufs Auge gedrückt bekommen und vom dem Kerish, dankbar für den Erhalt seines Schlüssels, so enthusiastisch schwört, ihn bis zum Ende der Welt mitzunehmen, als gelte es, dem neuen Spieler in einer Rollenspielrunde den Einstieg so einfach wie möglich zu machen. Und so liest sich der zynische, missgestaltete Gidjabolgo erst einmal wie ein umotiviert an die Geschichte drangeklatschter Fremdkörper.

Er verfolgt seine eigenen Ziele, verhält sich den beiden Gottgeborenen gegenüber feindselig und tut auch wenig, damit man ihn als Leser mag – und doch bringt er eine Note in die Geschichte, die ihr guttut und dazu geführt hat, dass mir der zweite Band nochmal besser gefallen hat als der erste. Denn mit Gidjabolgo scheint Harris zu verstehen, wie Perspektive funktioniert. Sprang sie im ersten Band noch munter von Kopf zu Kopf, bekommt Gidjabolgo jetzt demonstrativ nie den PoV, damit seine Motivation, die Zauberer in ihren Zitadellen aufzusuchen, länger im Dunkeln bleiben kann. Und so bleibt die Perspektive jetzt ziemlich konsequent bei Kerish, von einigen Passagen aus Forollkins Sicht abgesehen, was die Lesbarkeit des Buches und die Immersion deutlich steigert.

Zwar reitet mir die Autorin zu sehr auf Gidjabolgos Hässlichkeit herum  – auch Nebenfiguren bezeichnen ihn durchgehend als »the ugly one« – aber zumindest die vermeintliche Hässlichkeit seines Charakters wird im Verlauf des Buches relativiert, und wäre das Buch nicht im Jahr 1982 veröffentlicht worden, die zarte Romanze, die sich zwischen dem Dritten Prinzen und seinem vermeintlichen Sklaven entspinnt, hätte sich über ein paar wirklich nur sehr vage Andeutungen hinaus entspinnen können. Zwar meine ich mich zu erinnern, was Gidjabolgo wirklich von den Zauberern will, aber wie es sich zwischen ihm und Kerish weiterentwickelt, daran habe ich keine Erinnerungen – ich bin gespannt, wie viel sich Harris Anfang der Achtziger getraut hat, auch wenn ich mir ziemlich sicher bin, dass ich da auch in den beiden kommenden Bänden keine ausgewachsene Romanze bekommen werde.

Im Verlauf des zweiten Buches wächst die Reisegruppe um noch ein weiteres Mitglied – beziehungsweise um zwei, wenn man die Sumpfkatze, die Kerish findet und, statt sie gewaltsam zu zähmen, empathisch auf sich prägt, mitzählt. Kerishs Cousine Gwerath, bei bei ihrem zunemend unfreiwilligen Aufenthalt bei den nomadischen Erandachi, ist dann ein ziemlich offensichtlicher Love Interest für Forollkin und bleibt als eigenständige Figur ziemlich blass, wirkt ein bisschen wie die Quotenfrau des Buches und kann mich nicht ganz überzeugen. So fungiert sie als Einführung Kerishs in die Kultur seiner in Galkis erst versklavten und dann mit dem Kaiser verheirateten Mutter, als sie vom Stamm der Sheyasa, angeführt von Kerishs Onkel, aufgenommen werden.

Dort kommt es dann zur Eskalation zwischen den Brüdern: Während sich Forollkin als Krieger beweisen kann und den speerwerfenden Erandachi das Bogenschießen beibringt, was ihm zu großen Ansehen verhilft, wird Kerish zwar kurzerhand zum Priester ihrer Berggöttin erklärt, aber nicht als vollwertiger Mann betrachtet – Salz in die Wunde des jungen Prinzen, der sich von seinem nur unwesentlich älteren Halbbruder schon immer nicht für voll genommen fühlt. Und an den Teil der Geschichte, der mich jetzt gefesselt und mitgenommen hat, hatte ich wirklich keinerlei Erinnerungen mehr und muss mich wirklich fragen, wie ich ausgerechnet das vergessen konnte.

Kerish ist in seinem Verhalten, Eskalation inklusive, eine klare Blaupause für viele meiner eigenen Romanfiguren und Rollenspielcharaktere – zornig, zerbrechlich, übersensibel. Im zweiten Band ist er so deutlich die Hauptfigur, dass selbst Forollkin zu einer Nebenfigur wird, und seine gottgeborenen Gaben kommen beinahe ein bisschen zu deutlich zum Tragen. Die Suche nach den sieben Schlüsseln ist Teamarbeit, aber Kerish bleibt der Auserwählte, der mit der Hellsicht, den prophetischen Gaben, der Empathie – vielleicht wäre da ein bisschen weniger mehr gewesen. Dabei werden Kerishs immer noch durchaus ausgeprägte charakterliche Schwächen in diesem Buch nicht nur ihm selbst beinahe zum Verhängis: Ich habe ein bisschen Angst, dass er danach zu sehr geläutert ist und im nächsten Band nur noch das Richtige tun wird, aber das wird sich zeigen, wenn ich das dritte Buch, The Dead Kingdom, gelesen habe.

Aber vielleicht macht das den größten Unterschied zwischen dem ersten und dem zweiten Band aus: Im ersten Band war die Welt Zindar die eigentliche Hauptfigur, der weltenbau so dominant, dass das Buch sich streckenweise wie ein Walking Simulator anfühlte. In The Children of the Wind hingegen stehen ganz klar die Figuren im Mittelpunkt. Die Welt ist immer noch exquisit ausgearbeitet, greif- und fühlbar, doch sie wird mehr zu der Kulisse, die sie schon in Prince of the Godborn hätte sein müssen. Das Buch fühlt sich auch weniger gehetzt an, es werden weniger Dialoge zusammengefasst, weniger Handlung im schnellen Vorlauf erzählt, und auch wenn ich dabei bleibe, dass ich ein längeres Buch bevorzugt hätte, fühlt es sich an, als hätte sich Geraldine Harris in diesem zweiten Buch eingegroovt.

Aber es ist kein Wunder, dass ich von dieser Geschichte träume. Die Beschreibungen sind so, dass selbst ich sie leicht visualisieren kann, und ich bin wirklich kein visueller Mensch und denke mehr in Begrifflichkeiten. Die Welt Zindar ist plastisch, wird fühlbar, riechbar, sogar schmeckbar, und wo mich normalerweise Verfilmungen der Bücher, die ich gelesen habe, kaltlassen, hätte ich hier doch gerne eine schöne, lange Serie, um mein inneres Auge mit dem Äußeren abzugleichen. Ich weiß, das wird nicht passieren – das ist eine obskure Serie aus den Achzigern, deren Neuauflage doch in erster Linie von Leuten wie mir gelesen wird, die ein Lesevergnügen aus ihrer Jungend wiedererleben wollen, aber ich möchte jetzt, nach Lektüre des zweiten Bandes, meine Leseempfehlung erweitern auch auf die jüngere Generation, nicht nur aus fantasyhistorischem Interesse, sondern um der Geschichte selbst willen.

Am liebsten würde ich mich jetzt direkt über das dritte Buch hermachen. Aber das muss sich noch ein bisschen gedulden: Ich habe mir vorgenommen, für jedes Buch, das ich zum wiederholten Mal lese, eines von meinem mehr als nur stattlichen Stapel ungelesener Bücher zu nehmen, und werde dementsprechend jetzt erst einmal etwas anderes durcharbeiten. Und irgendwie möchte ich auch meine Zeit, die ich in Zindar verbringe, ein bisschen in die Länge ziehen. Ich bin erst halb durch mit der Reihe und habe schon Angst davor, dass es wieder vorbei sein könnte. Bei all den Schwächen, die Seven Citadels sicherlich mitbringt – so verliebt in eine Geschichte, sprich: eine Geschichte, die nicht meinem eigenen Kopf entsprungen ist, war ich so lange nicht mehr, dass ich gar nicht mehr wusste, wie sich das anfühlt.

Ich will die Bücher lesen, ich will darüber sprechen, ich will, dass alle anderen sie auch lesen und meine Liebe dazu teilen – ich bin wirklich ganz und gar verschossen in diese Bücher. Und es ist ein tolles Gefühl. Hoffen wir, dass das auch noch bis zum vierten und letzten Band anhält!

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