Nachdem ich den ersten Band der Sinister Summer-Reihe von Kiersten White gelesen hatte, wusste ich, dass ich wissen wollte, wie es weitergeht. Sofort. Und um nicht lange mehr warten zu müssen und die Möglichkeit zu haben, die restlichen vier Bände in einem Rutsch runterzulesen, habe ich sie mir dann kurzentschlossen alle auf einmal bestellt. Auf Wretched Waterpark hatte ich zwei Wochen warten müssen – für die Bände zwei bis fünf fehlte mir diese Geduld. Alle Teile waren sofort lieferbar, ankomme Samstag, und so wurden sie auch alle bestellt, froh, von einigen davon das letzte Exemplar am Lager erwischt zu haben. Aber wie so oft kam es anders, als man denkt. Die Bände zwei, drei und fünf kamen bei mir an, nicht erst am Samstag, sondern schon am Freitag. Buch vier hingegen, das letzte seiner Art … wurde im Versand beschädigt. Und ging zurück. Und als nächstes sagte mir die Shopseite, dass eine Ersatzlieferung veranlasst worden wäre. Für September.
Ehrlich, ich wusste nicht, ob ich lachen oder weinen sollte. Das war eine Wendung, wie sie aus einem der Bücher hätte stammen können. Und jetzt darf ich mich mit dem Kundendienst herumschlagen, um mein Geld zurückzubekommen, das Buch bei einem anderen Händler bestellen, der es zumindest in ein paar Wochen bekommen kann und nicht erst in sechs Monaten, und werde bis dahin warten müssen. Und ich weiß jetzt schon, dass auch Band drei mit einem Cliffhänger enden wird, wie die Teile eins und zwei. Denn Band zwei habe ich, ungeduldig, wie ich bin, natürlich sofort gelesen, wieder in einem Rutsch, und das auch wieder nicht bereut. Wirklich, Kiersten White entwickelt sich mehr und mehr zu einer Lieblingsautorin von mir. Habe sogar schon überlegt, ihr eine Mail zu schreiben, aber auf ihrer Webseite gibt sie an, dass sie keine haben möchte, und das respektiere ich. Dann gibt es eben nur eine Rezension.
Vielleicht verrät der Titel Vampiric Vacation ein wenig viel, dafür, dass das Thema »Vampire« erst in der zweiten Buchhälfte überhaupt ins Spiel kommt. Aber natürlich kann man sich das als Leser schon viel früher denken, wenn das Wellnesshotel den Namen »Sanguine Spa« trägt und sich in Klein Transsylvanien befindet (was, wessen sich die jugendlichen Protagonisten vergewissern, immer noch in Amerika liegt). Nach einem Spaßbad haben die Sinister-Winterbottom-Kinder nun also die zweite Touristenattraktion des elternlosen Sommers erreicht, und sie wissen wieder nicht, was sie da sollen. Etwas suchen, sagt ihre Tante, und wie schon im ersten Band bleibt sie sehr vage, um was es geht – nur, dass die Kinder genau hinschauen sollen, aber das war’s dann auch schon. Alles aussteigen, Endstation, und eine Bergwanderung und einen Irrgarten später finden sie sich in der Hotellobby wieder, die, als Abwechslung zum ersten Band, von anderen Touristen regelrecht überquillt.
Abwechslung ist ein gutes Stichwort, wenn man eine Reihe für Kinder schreibt. Die einzelnen Bände müssen sich genug unterscheiden, um jeweils eine Daseinsberechtigung zu haben, und wenn man dann auch noch thematisch so eng zusammenliegende Schauplätze hat, muss man an anderer Stelle für Varianz sorgen. Kiersten White gelingt das hier gut, nur an einer Stelle hatte ich das Gefühl, dass sie sich wiederholt, aber ich fürchte, dieser wiederkehrende Schurke, den ich schon im ersten Band eher schwach fand, wird uns jetzt bis zum Ende der Reihe begleiten. Denn das ist bei einer Reihe für Kinder ebenso wichtig wie Originalität: Wiedererkennungswert. Darum können die gar nicht genug Bände haben, darum gehen sie oft in die Dutzende: Weil Kinder das lesen wollen, was ihnen vertraut ist. Und wenn ich schaue, wie ich vor fast vierzig Jahren ein Drei-Fragezeichen-Buch nach dem nächsten gelesen habe und immer nur noch mehr Schatzsuchen und Schnitzeljagden haben wollte, ist das kein völlig neues Phänomen.
Vampiric Vacation ist also ein Balanceakt aus Neuem und Vertrauten, denn Autorin White versteht sowohl ihr Handwerk als auch ihre Zielgruppe. Vertraut sind die Sinister-Winterbottom-Kinder, die sich seit ihrem ersten Abenteuer, das erst wenige Tage zurückliegt, nicht groß verändert haben. Theo ist immer noch wagemutig mit Hang zum Leichtsinn, ihr Zwillingsbruder Alexander immer noch vorsichtig darauf bedacht, nur ja keine Regeln zu brechen, und die große Schwester Wil klebt immer noch durchgehend am Smartphone. Aber sie bekommen die Möglichkeit, sich ein bisschen weiterzuentwickeln. Alexander ist ein bisschen verschossen in die schöne Mina und muss lernen, neue Gefühle zu navigieren, als sich Fragen an Minas Vertrauenswürdigkeit ergeben. Wil wird über weite Teile des Buches von ihren jüngeren Geschwistern getrennt und versteht, dass die mehr können, als sie ihnen vielleicht zugetraut hat – aber wie im ersten Teil kommt Wil auch hier wieder sehr kurz. Und Theo … Theo ist immer noch Theo. Aber es kommen ja noch drei Bände.
An der Stelle gefällt mir der Brief ihrer Mutter, den die Kinder im ersten Band in Alexanders Koffer gefunden haben, immer mehr: Der ruft Alexander zur Vorsicht auf, Theo zu Mut, und Wil, ihr Handy zu benutzen – und verwirrt die Kinder damit, weil sie das ja sowieso schon genau so machen. Aber ich mag es, wie die Kinder darin bestärkt werden, sie selbst zu bleiben und die Charakterzüge, die ihre Stärke sind, zu nutzen. Alexanders Vorsicht und Ängstlichkeit sind kein Hindernis, das es zu überwinden gilt; er muss nicht über sich hinauswachsen das mutige Ebenbild seiner Schwester werden, sondern bekommt seine eigenen Möglichkeiten, den Tag zu retten, wie Theo mit ihrem Wagemut. Die Eltern der Kinder sind abwesend, das ist das Thema der ganzen Reihe, aber man lernt sie im Kleinen kennen und versteht, wie sehr sie ihre Kinder in ihrer Unterschiedlichkeit respektieren.
Neu in Vampiric Vacation sind, neben der Vampirthematik und dem Wellnesshotelsetting, dass die Sinister-Winterbottoms auf andere Kinder ihres Alters treffen. Da ist zum einen Quincy, die meisterlich das Lasso schwingt und für das Kinderprogramm des Hotels – in dem, so das besondere Konzept dieses Spas, Kinder wie Eltern Urlaub von ihren Familien nehmen sollen und rigoros getrennt werden – zuständig ist, zum anderen sind da die anderen Kinder, die dort Urlaub machen, vom klebrigen Kleinkind bis zum übellaunigen Bully, der um die Aufmerksamkeit seines Vaters kämpft. Die meisten dieser Kinder spielen nur kleine Rollen und werden doch mit wenigen Worten so interessant charakterisiert, dass man sie sich gut vorstellen kann. Und es ist schön zu sehen, wie sich die sonst doch sehr aufeinander fixierten Zwillinge als Freunde bewähren.
Ebenso schön ist aber, dass sie nicht immer eine eingeschworene Einheit bilden. Dass Theo Alexander dazu bringt, gegen ein Verbot zu verstoßen, obwohl sie genau weiß, dass er damit Probleme hat, führt zu einem großen Streit zwischen den Zwillingen, bei denen beide irgendwie recht haben und beide irgendwie unrecht, und natürlich raufen sie sich wieder zusammen, aber die Geschwisterdynamik fühlt sich sehr echt und lebendig an in diesem Buch, das sonst wie der erste Teil wirklich nicht auf Realismus setzt, sondern alles bis zum Äußersten zuspitzt. Und auch wenn sich Humor, Wortwitz und Absurdität durch das ganze Buch ziehen, ist es kein Schenkelklopfer, sondern hat auch seine ernsten und ergreifenden Momente.
Ein wenig hat mich dieses Buch an Das unheimliche Tierhotel von James Howe erinnert – da sind die Helden zwar ein Hund und ein Kater, die beiden haben aber ziemlich viel mit Alexander und Theo gemein, und wie sie versuchen, in dem Hotel, in dem sie unfreiwillig gelandet sind, nach Spuren des Übernatürlichen zu suchen und dabei ganz realistische Wahrheiten finden, weckt da Erinnerungen bei mir. Auch in Vampiric Vacation vermischen sich übernatürliche und weltliche Elemente so dicht miteinander, dass ich immer noch nicht sagen kann, was für ein Genre ich da eigentlich gelesen habe – ist das schon Fantasy? Noch Mystery? Oder einfach nur ein gutes Buch?
Fest steht, dass ich auch an diesem Buch wieder großen Spaß hatte. Es ist kindgerecht geschrieben, hat keine Szenen, die nicht für Zehnjährige geeignet wären und wird auch keine Alpträume verursachen, dabei ist es spannend und auch für Erwachsene gut zu lesen. Wo große Wörter verwendet werden, gibt es eine amüsante kleine Erklärung, die niemals belehrend wirkt, und ich habe als Nicht-Muttersprachler noch ein paar neue Begriffe gelernt. Im Vergleich zum Wretched Waterpark fand ich die Plotwendungen in Vampiric Vacation auch nicht so vorhersehbar, auch wenn mir diesmal früh klar war, wonach Tante Saffronia sucht – nur der Schluss wirkte extrem überhastet. Da das Buch mit seinen 300 Seiten deutlich dicker als der erste Band geraten ist, halte ich es für möglich, dass Kiersten White am Ende einiges zusammenstreichen musste, um noch den Verlagsvorgaben zu entsprechen, und ich persönlich hätte da nochmal 50 Seiten lesen mögen, mit denen die Verstrickungen ein bisschen weniger atemlos aufgelöst worden wären.
Alles in allem ein wirklich schöner Schmöker für Kinder und alle, die es werden möchten. Die serienübergreifende Handlung wird in kleinen Schritten vorangeführt, auch wenn da noch das allermeiste dunkel bleibt. Gerade genug wird enthüllt, dass man bei der Stange bleibt und unbedignt wissen will, wie es weitergeht. Denn natürlich endet das Buch wieder mit einem Cliffhänger – im Vergleich zum ersten Band einem noch viel garstigeren. Wieder befindet sich, um das noch schlimmer zu machen, das erste Kapitel des Nachfolgers, Camp Creepy, im Anhang des Buches, und wieder möchte ich einfach weiterlesen.
Und das kann ich jetzt auch tun. Den dritten Band habe ich ja bekommen. Nur wie das mit dem Vierten aussieht, das wird sich noch zeigen müssen. Aber jetzt – auf ins Sommercamp!