Auf dieses Buch hätte ich beinahe ein halbes Jahr warten müssen. Das zumindest war die Meldung des großen Online-Buchhändlers, bei dem ich das »sofort lieferbare« Buch im März bestellt hatte: Das einzige noch verfügbare Exemplar wurde beim Transport beschädigt, ging zurück, und eine Neulieferung wurde angesetzt – terminiert zwischen Juni und September. Ich schimpfte, ich fluchte, doch ich hatte nicht die Energie, mich dahinterzuklemmen und die Bestellung zu stornieren, und so stellte ich mich auf eine lange Wartezeit ein, bis ich Kiersten Whites Sinister Summer-Reihe würde weiterlesen können. Drei Bände hatte ich regelrecht verschlungen – auf den vierten freute ich mich besonders, strahlte der doch klassische Spukhaus-Vibes aus und hieß auch schön verheißend Menacing Manor.
Und ich hatte Glück: Gute zwei Monate vor dem frühsten anvisierten Nachlieferungstermin kam das Buch bei mir an und wurde, wie schon seine Vorgänger, eingeatmet. Aber nicht alle Bücher in einer Reihe können gleich gut sein. Es ist immer der eine Band darunter, der einem dann nicht ganz so gut gefällt wie die anderen, und ich muss sagen, dass für mich Menacing Manor doch ein bisschen hinter den anderen Teilen zurückbleibt, vor allem als Nachfolger des brillanten Camp Creepy, das mir doch wirklich sehr gut gefallen hatte. Ich nehme es nicht persönlich und freue mich auch schon auf den fünften und letzten Band der Reihe: Der liegt schon hier bereit, und ich freue mich darauf, ihn zu lesen. Und es ist nicht so, als ob Menacing Manor kein gutes Buch geworden wäre – es ist einfach nur nicht der beste Teil der Serie.
Das liegt zum einen an dem Figurenkontingent. Seit dem Ende des dritten Bandes sind die Sinister-Winterbottom-Geschwister nicht mehr allein unterwegs, sondern in Begleitung von einem schieren Haufen an Kindern und Jugendlichen, die sie in der Zwischenzeit aufgegabelt haben: mit Edgar, Mina und Lucy, Quincy und Henry und den drei Geschwistern sind das acht ständig anwesende Figuren, die alle koordiniert werden wollen, und damit bleibt wenig Raum, im vierten Band neue Charaktere einzuführen. So kommen da nur noch zwei neue Figuren dazu, Essa und Mr. Frank. Und weil die Kinder um letzteren einen weiten Bogen machen, dieweil sie ihm nicht trauen, ist Essa der Dreh- und Angelpunkt des Plots, und es ist mir als Leser von Anfang an klar, dass ihr nicht zu trauen ist. Jedes Buch braucht einen Schurken, und da scheidet Mr. Frank als viel zu offensichtlich aus – bleibt also nur noch eine Person übrig.
Die Kinder jedoch kommen nicht auf den Gedanken, Essa nicht zu trauen. Natürlich, sie haben sich unter falschen Namen – die sie dann erwartungsgemäß andauernd mit ihren richtigen durcheinanderbringen – im Stein Manor Science Camp angemeldet und haben ein schlechtes Gewissen, die nette Essa zu hintergehen, aber ihrerseits hinterfragen sie sie nicht. Und so verbringt man weite Teile des Buches damit, zu wissen, dass die Kinder auf dem Holzweg sind und dabei, in ihr Verderben zu laufen, und kann ihnen nur mehr oder weniger hilflos dabei zusehen.
Auch in den anderen Bänden waren Theo und Alexander auf der einen oder anderen falschen Fährte – aber da blieb die Gewissheit, dass ihre geniale ältere Schwester Wil, während sie unverwandt auf ihr Handy starrt, den Jüngeren immer einen Schritt voraus ist und am Ende die Puzzlesteine zusammengesetzt werden. Aber im vierten Band gibt es die eigentlich begrüßungswerte Entwicklung, dass die Kinder endlich miteinander reden und Wil ihre jüngeren Geschwister in ihre Recherchen einbezieht, von hinter dem Smartphonebildschirm wieder auftaucht und mit dem Rest interagiert, und plötzlich wirkt sie viel weniger genial als in den anderen Büchern, wo sie am Schluss immer sagen konnte, dass sie das ja schon alles gewusst hat.
Außer am Schluss: da entschlüsselt Wil im Alleingang einen Hinweis, verrät den anderen nicht, was sie da gesehen hat – und es wird im ganzen Buch auch nicht aufgeklärt. Anders als die ersten drei Teile, die neben dem übergreifenden Serien-Handlungsbogen immer noch einen geschlossenen Band-Plot hatten, der zufriedenstellend abgeschlossen wurde, endet Menacing Manor unerfreulich offen – was daran liegt, dass dieses Buch zwar den Serienplot gut vorantreibt, aber kaum A-Plot mitbringt. Wie auch, wenn praktisch keine Figuren zur Verfügung stehen, um die man einen Plot herumstricken könnte? Und das ist es dann auch, woran dieses Buch am meisten leidet.
Am Setting selbst liegt es nicht: Das Science Camp, abgehalten im genretypischen Spukhaus auf der Klippe, malerisch unter einem Himmel voller Blitze, ist eine nette Kulisse, auch wenn sie nicht mit dem Spaßbad aus dem ersten Buch mithalten kann. Aber es fehlen andere Teilnehmer, mit denen die Kinder interagieren könnten, es gibt außer Essa keine Dozenten, und dadurch bleibt alles seltsam statisch und verlassen. Da hilft es auch nicht, dass das Buch als Hommage an Frankenstein daherkommt und Mary Shelley in der Danksagung als Vorbild erwähnt – die Parallelen sind zu offensichtlich, wenn da Mr. Frank und Mr. Stein eine Frühstückspension eröffnen wollen und in der Zwischenzeit in ihrem (Mad) Science Camp einen Kurs zum Thema »Wiederbelebung von Toten« anbieten (der aber mangels Dozent, Mr. Stein ist abwesend, nicht zustande kommt).
Was dann das Geheimnis des Mr. Frank ist, hätte ich auch mit zehn, zwölf Jahren zu offensichtlich gefunden. Entweder das lesende Kind weiß, worum es bei Frankenstein geht, dann fehlt die Spannung, weil der Plot zu durchsichtig ist – oder es hat tatsächlich noch nie von Frankenstein gehört, dann gehen alle Anspielungen ins Leere, und wirklich spannend wird es davon immer noch nicht. Und wo die anderen Bücher ihre Spukelemente hatten oder zumindest, im allzu normalen Sommerlager, unbequeme Untertöne, ist ausgerechnet das vermeintliche Spukschloss ein gänzlich mondäner Ort, an dem es nicht das Geringste zu fürchten gibt, und so bleibt die ganze Zeit über das Gefühl, dass etwas fehlt.
Auch der Tiefgang, den die Reihe in Camp Creepy bekommen hatte, geht hier wieder verloren. Hier geht es nicht mehr um den Druck, zu sein wie alle anderen, sondern wieder in zu vielen Seitenhieben darum, dass sowohl die Autorin als auch ihre Hauptfiguren keine Rosinen mögen. Auch die Manierismen der Kinder fühlen sich hier ein wenig abgenutzt an: Wie schon in Vampiric Vacation darf Alexander in der Küche den Rührlöffel schwingen und alle Lebensmittel-Sicherheitsprotokolle beachten, Theo darf wieder rücksichtslos (oder manchmal auch rücksichtsvoll) vorpreschen und dabei auf die Nase fallen, und so gut die beiden auch psychologisch ausgearbeitet sind, scheinen sie im vierten Band auf der Stelle zu treten und sich nicht mehr groß weiterentwickeln zu können.
So ist die interessante Figur im Buch diesmal wohl Henry, den sie im Sommerlager ausgegraben haben und der nicht nur mit seiner Aggression zu kämpfen hat, die es ihm schwer macht, Freunde zu finden, sondern auch mit der Suche nach Anerkennung, die er wohl von seiner Familie nie bekommen hat. Aber Henry ist nur eine Nebenfigur, und seine Entwicklung in diesem Buch bleibt ohne Anfang oder Ende. Auch, was es nun mit Essa auf sich hat, wird wohl erst im fünften Band beantwortet – beide Teile gehen nahtlos ineinander über, aber eben leider für den Preis, dass das Ende von Menacing Manor völlig unbefriedigend offenbleibt.
Und dann ist da noch das Höhlensystem. Ich habe das schon in meiner Rezension Camp Creepy geschrieben: Es nutzt sich wirklich ab, wenn es in jeder einzelnen Geschichte unterirische Gänge zu erkunden gibt. Wir kennen das aus den Büchern von Enid Blyton, wo in den Abenteuer-Büchern oder bei den Fünf Freunden immer und immer und immer wieder Höhlensysteme vorkamen, und so wie sie mir da irgendwann aus den Ohren herauskamen und nichts Neues mehr mitbrachten, fühlen sich die Höhlen unter Stein Manor ausgelutscht an und bringen, trotz steigenden Meeresspiegels, nichts neues mehr mit: Niemand rechnet wirklich damit, dass den Kindern in der langsam überflutenden Höhle etwas zustoßen könnte, und so wirkt dieser Teil dann auch seltsam lustlos.
Und doch hatte ich Spaß, das Buch zu lesen. Es hat immer noch eine Menge Schwung, die es aus den ersten Teilen der Reihe mitgenommen hat, und auch wenn es im Vergleich an Momentum verliert, bleibt immer noch eine Menge davon übrig. Die Figuren, auch wenn sie sich innerhalb der drei Tage, an denen das Buch spielt, nicht groß weiterentwickeln, sind mir ans Herz gewachsen, und ich verzeihe auch, dass zu große Teile des Buches davon handeln, dass Theo vergeblich damit beschäftigt ist, die abgeschlossenen Bücher, die sie seit dem zweiten Band mit sich herumschleppen, zu knacken. Dafür gibt es viele eingestreute Wissenshäppchen, wie man sie eben in einem naturwissenschaftlich orientierten Ferienlager findet oder in der Sendung mit der Maus, dass ich auch als Kind meinen Wissensdurst hätte stillen können, und das alles wirkt gut konstruiert und recherchiert, wenn man verzeiht, dass die Kinder in diesem Band kaum einmal das Richtige tun und immer auf dem Holzweg sind.
Und natürlich will ich jetzt wissen, wie alles ausgeht. Der Fünfte Band liegt schon hier, wartet nur darauf, dass ich zu lesen anfange, und ich hoffe, dann wird diese Reihe zu einem würdevollen Abschluss gebracht. Kiersten White hat derweil auf Instagram das Cover ihres nächsten Buches für Erwachsene enthüllt, eine Adaption von Dracula, bei der diesmal die unglückselige Lucy im Mittelpunkt stehen darf. Und ich, obwohl ich es gar nicht mit Vampiren habe, freue mich jetzt schon auf diese Veröffentlichung, die irgendwann im Herbst herauskommen soll. Ich denke, sie kann sich wirklich in die Reihe meiner Lieblingsautor:innen eingruppieren. Und da verzeihe ich es auch, dass mich Menacing Manor nicht so sehr überzeugen konnte.