Kate Johnson: Hex and Hexability

Zwei Themen sind gerade literarisch total in: Hexen und Regency Romance. Warum also nicht hingehen und beides miteinander kombinieren, muss sich Autorin Kate Johnson gedacht haben, und so zog ich im Herbst aus der Locked Library das Buch Hex and Hexability. Mit Hexen hatte Johnson schon früher Erfahrung gemacht, Bücher veröffentlicht mit Titel wie Hex and the City und Hex Appeal – an historische Stoffe hatte sie sich, wie sie im Nachwort verrät, noch nie herangewagt. Aber sie hat offenbar ganz viel Bridgerton geschaut, wahrscheinlich auch das eine oder andere von Jane Austen gelesen, und auch sonst scheint sie ihre Zeit recherchiert zu haben, so dass ich ihr da keine Vorwürfe machen will – aber das Ergebnis wirkt unaugegoren, ein Konzept vom Reißbrett ohne viel dahinter, ein Buch, das nicht weiß, was es sein will, und auch das historische Setting wirkt weder authentisch noch greifbar.

Dabei will ich mich überhaupt nicht am Namen der Hauptfigur hochziehen. Die heißt Tiffany, eigentlich Theophania, und Johnson nimmt im Nachwort ausdrücklich Bezug auf das Tiffany-Paradox, das besagt, dass Leser:innen historischer Romane den Namen Tiffany viel zu modern finden, während er in Wirklichkeit im englischen Mittelalter gar nicht so selten war. Nur eben im Mittelalter. Hex and Hexability spielt aber 1815, als der Name längst an Verbreitung eingebüßt hatte, und für das Tiffany-Paradox kommt diese Argumentation eben sechshundert Jahre zu spät. Aber so lesen sich viele historische Elemente in diesen Buch: gut durchgeschüttelte Anachronismen, die oft zu modern anmuten für die Zeit, in der die Geschichte spielt. Die Ansichten der Hauptfiguren, namentlich der für ihre Zeit zu emanzipierten Tiffany, lassen sie mehr wie Menschen des 21. Jahrhunderts in bezaubernden historischen Kostümen wirken denn wie echte Kinder ihrer Zeit.

Tiffany ist also eine Hexe. Sie kann – erst unbewusst, später kontrolliert – Bilder zum Leben erwecken, was in ihrem Leben als höhere Tochter schon für die eine oder andere peinliche Situation gesorgt hat. Ihre Mutter ist seit Jahren verschwunden, der Vater dient treu in Wellingtons Armee und glänzt durch Abwesenheit, und so lebt sie ein tendenziell unglückliches Leben im Haushalt ihres deutlich älteren Bruders, unter der Fuchtel der Schwägerin, die sie in die Gesellschaft einführen möchte und dabei natürlich keine Skandale brauchen kann. Skandale stellen ein gesellschaftliches Todesurteil dar, und die gehen schon damit los, dass jemand ein Gewand von falscher Farbe auf einen Empfang trägt.

Als Tiffany erfährt, dass sie eine Hexe ist, und über ihre bis dato unbekannte Großtante in den Zirkel eingeführt wird, beginnt sie ein Doppelleben – denn natürlich darf die Familie, und erst recht die High Society, nichts von den magischen Umtrieben wissen. Und dann ist da natürlich noch Santiago. Der führt auch ein Doppelleben, ist auf der einen Seite umtriebiger Seemann, auf der anderen Seite gerade frisch zum Herzog gekrönt worden, und wäre als solcher auf dem Papier die perfekte Partie für Lady Tiffany – hätte er im Leben auch nur für fünf Schilling Etikette und Manieren gelernt. Natürlich sind sie füreinander bestimmt – wobei, so natürlich ist das dann doch nicht.

Denn dass Tiffany niemals heiraten will, sei ihr vergönnt – dass sie das ganze auch noch laut äußert, und dann auch noch gegenüber dem raubeinigen Love Interest, wirkt aber seltsam unpassend, und fortan kann sich das Buch, nicht entscheiden, was es will: Eine Romanze, glücklich und zufrieden bis ans Lebensende? Oder doch eine unabhängige Frau, die keinen Mann braucht, um aufrecht in den Sonnenuntergang zu reiten? So widersprüchlich diese Ziele auch sind, versucht Hex and Hexability, beides zu erfüllen, ein Spagat, der nur nach hinten losgehen kann. Tiffany kann nicht gleichzeitig glücklicher Single und glücklich liiert sein. Aber das Buch versucht, mir genau das zu verkaufen.

Auch in anderer Hinsicht wirkt die Geschichte unentschieden: Der parodistisch anmutende Titel klingt nach Humor, dabei ist das Buch nicht witzig. Die von der Locked Library groß angekündigte sprechende Katze spielt de fakto keine Rolle und wirkt wie nachträglich drangeklatscht. Und was nun der Hauptplot der Geschichte sein soll, bleibt bis zum Ende unklar: Dass da ein Seeungeheuer Ärmelkanal und Nordsee terrorisiert, scheint über weite Strecken des Buches vergessen und wird wird der Frage untergeordnet, ob Santiagos höfische Manieren nun ausreichend sind oder ob die Figuren jetzt miteinander schlafen wollen oder nicht.

Selten ist mir ein Buch begegnet, das derart unfokussiert Ereignisse in den Mittelpunkt stellt oder nicht: die Spannungskurve ist nicht existent, der Schwerpunkt springt mal hierhin, mal dahin, und ich fühlte mich immer wieder an einen Nanowrimo-Roman erinnert, bei dem die Autorin das Ziel hat, im Monat 50.000 Wörter rauszuhauen, und auch an den Tagen, an denen sie ohne Plot dasteht, ihr Pensum runterschreiben muss. Seitenlang schmachten Tiffany und Santiago einander an, seitenlang verzehren sie sich voll unausgesprochnem Verlagen, dann, nachdem sie es doch ausgesprochen haben, folgt eine Sexszene, die über zwei Perspektiven und nicht weniger als zwanzig Seiten geht – und dann kommt plötzlich wieder der Plot mit dem Meerungeheuer ins Spiel, wird neben abgefrühstückt, nicht ohne völlig sinnlose Zeitreise-Sequenz in die Normandie vor Landung der Alliierten, und alles wirkt so wirr und wuselig, als ob der Autorin sowieso alles egal wäre.

Dabei hat mir einiges an diesem Buch durchaus gefallen. Die Schreibe liest sich angenehm leicht runter – und schafft es dabei dennoch, zumindest ein bisschen den Stil der Zeit zu treffen, was eine ganz nette Mischung macht. Die Figuren, wiewohl für ihre Epoche unrealistisch, sind durchaus sympathisch, wenn man von Abziehbildern wie Tiffanys Schwägerin mal absieht. Die Entscheidung, das Buch aus wechselnder Perspektive zu erzählen, führt allerdings dazu, dass es viele Dopplungen gibt, wenn wir die gleiche Situation erst aus Tiffanys und dann noch einmal Santiagos Sicht erzählt bekommen. Da wird die von Haus aus dünne Handlung noch weiter gestreckt, und die Spannung leidet darunter.

Das zentrale Motiv des Buches ist rühmlich. Während im gerade ebenfalls total angesagten Genre Dark Romance die ungesunden Beziehungen zu Bad Boys, die sich nehmen, was und was sie wollen, glorifiziert werden und jahrzehntealte Errungenschaften der Frauenbewegung beiseitewedeln, geht es hier um Einverständnis – nur eben angesiedelt in einer Zeit, in der Slogans wie »Consent is King« einfach anachronistisch wiren. Santiago hat Tiffany hoch und heilig versprochen, sie niemals auch nur anzurühren, sofern sie ihn nicht ausdrücklich dazu auffordert, und weil ein Versprechen einer Hexe gegenüber immer bindend ist, hält er sich auch dran – nur, damit Tiffany, die das offenbar schon vergessen hat, sich seitenlang darüber wundern kann, warum er nicht mit ihr schlafen will, und ob er sie derart abstoßend findet, und so weiter. Dass Kommunikation für Consent unerlässlich ist, geht den Beiden gänzlich ab und macht das Buch um so länger, und um so zäher.

Auch an anderen Stellen schimmert das einundzwanzigste Jahrhundert zu deutlich durch. Tiffanys Entsetzen angesichts der Tatsache, dass ihre Jugendfreundin von ihrem Ehemann geschlagen wird, will nicht in einer Zeit passen, in der das leider noch an der Tagesordnung war – um so leichter akzeptiert sie dann, dass Santiagos Diener transgender ist. Aber natürlich hat sie da durch die unkonventionellen Frauen aus Tante Esmes Hexenzirkel schon mehr gesehen und erlebt, als andere junge Frauen ihrer Zeit. Und Robinson, besagter Diener, ist eine interessante Figur, bringt einen für die Regency-Ära untypischen Hauch von Diversität mit sich und ist dabei tatsächlich erstaunlich glaubwürdig.

Aber die Mischung aus historischem Elend, Frauenleid und transphoben Schlägern auf der einen Seite, fluffiger Regency Romance auf der anderen Seite wirkt unausgegoren und kann nicht überzeugen, verstärkt nur das Gefühl, dass das Buch – beziehungsweise seine Autorin – nicht wusste, wo es hinwill. Sollte das Setting jetzt streng historisch sein? Dafür wirkt es nicht aktibisch genug recherchiert, dafür ist vieles dann zu pastellig weichgezeichnet. Soll es in erster Linie eine Romanze in schönen Kleidern und mit einem Hauch von Magie sein? Dann stören die Frauenschläger das Bild.

Alles wirkt irgendwie halbherzig, nicht zu Ende gedacht, überstürzt. Kaum fängt es an zu regnen, tritt schon der Fluss über die Ufer und verwandelt alles in eine reißende Hochwasserlandschaft. Unbedachte Kommentare führen gleich zu Duellen, weil man ja keine Regency-Geschichte ohne Duell schreiben muss. Vieles wirkt, als hätte die Autorin eine Strichliste mit Pflichtelementen abgearbeitet – sowohl für die Romanze, als auch für die Epoche, als hätte sie, auf Forderung von Betaleser:innen oder dem Lektorat, manches nachträglich drangepappt, ohne selbst davon überzeugt zu sein.

Und natürlich spielt die Schlacht von Waterloo eine Rolle. Auch das überzeugt nicht. Wenn wir es schonmal mit einem Seeungeheuer zu tun haben – warum drehen wir die Handlung dann nicht um die Seeschlacht bei Trafalgar? Warum muss das überstürzte Finale um diese unsägliche Zeitreise, die nichts zur Wahrheitsfindung beiträgt, ergänzt werden? Warum wirkt die Auflösung derart uninspiriert? Und warum hatte ich trotzdem Spaß an der Geschichte?

Sicherlich gibt es bessere, überzeugendere Romanzen. Sicherlich gibt es bessere historische Romane, auch solche, die in der Regency-Zeit spielen. Sicherlich gibt es bessere Bücher über Hexen. Der überdimensioniert große Kessel, der unter dem eher uninspirierten Schutzumschlag den Einband der Locked Library-Ausgabe ziert, ist symptomatisch für das ganze Buch, das wild Sachen in einen Topf geschmissen hat und nur unzureichend umgerührt. Ich bereue die Lektüre von Hex and Hexability nicht. Aber ich denke nicht, dass ich das Buch weiterempfehlen muss.

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