Laura Purcell: Moonstone

Ehe ich zum eigentlich hier rezensierten Buch komme, eine Anekdote aus meinem eigenen Autorenleben: Als 2013 mein Debütroman Das Puppenzimmer erschien, hatte mein Verlag als Vergleichstitel (»für Leser von …«) Julie Kagawa und ihre Iron Fey-Reihe rausgesucht – nicht der unpassendste Vergleich, schließlich ging es auch im Puppenzimmer um Feen, aber ich bat meinen Lektor, etwas anderes zu versuchen. Mein Buch kam als historischer Mysteryroman daher, dass Feen hinter allem stecken, sollte eine Überraschung bleiben, und ich konnte ausnutzen, dass ich Debütant war und niemand wusste, dass ich Fantasyautorin bin: Und mein Lektor verstand, was ich meinte, der Verlag spielte mit, und es gelang uns, die Feen bis zur dramatischen Enthüllung geheimzuhalten. Natürlich überzeugte das nicht jede:n Leser:in, aber es passte zum Buch, das wie ein ganz klassischer Gaslichtroman daherkam und sich erst langsam zur Fantasygeschichte wandelte, und elfeinhalb Jahre später bin ich immer noch stolz auf diesen Kniff.

Genau so etwas hätte Moonstone gebraucht. Moonstone tut sein Bestes, bis zum Ende geheimzuhalten, was für eine mysteriöse Krankheit die arme Lucy quält, was für eine Bestie die Dorfbevölkerung in Angst hält, ergeht sich in Andeutungen, die zugegeben sehr, sehr deutlich sind, aber es versucht es immerhin – nur, um dann komplett hochgenommen zu werden von Marketing, Aufmachung und Klappentext. So, so, so schade! Das Buch hätte mir so viel besser gefallen, hätten Autorin und Verlag das Spiel mit dem Geheimnis durchgezogen. So verliert das Buch, noch bevor man es aufgeschlagen hat, leider alles, was es spannend gemacht hätte. Und wird so leider durch und durch vorhersehbar.

Moonstone ist ein Werwolf-Buch. Auf dem Cover sieht man die Silhouette eines Wolfs vor dem Vollmond. Im Vorwort und im Nachwort schreibt die Autorin Laura Purcell darüber, wie gern sie ein Werwolf-Buch schreiben wollte. Alles, wirklich alles an diesem Buch, schreit »Werwolf« – bis auf die Geschichte selbst. Die versucht, bis zum dramatischen Finale geheimzuhalten, dass es um Werwölfe geht. Natürlich, die Andeutungen sind da, und die Andeutungen sind schon sehr deutlich, aber trotzdem versucht Purcell, es als große Enthüllung zu präsentieren, dass es um Werwölfe geht. Was sonst könnte Lucy beim Geruch von Blut ausrasten lassen, warum sonst könnte sie allergisch auf Silber reagieren, warum sonst der volle Mond so ein Problem darstellen?

Hier hätte man mit den Erwartungen der Leser:innen spielen können, eine andere Enthüllung präsentieren – aber nein, es sind genau die Werwölfe, die uns das Buch von Anfang an angekündigt hat, und so bleibt, statt der dramatischen Enthüllung, das Gefühl, die Autorin wollte uns für dumm verkaufen. Vielleicht hätte die Geschichte vor zweihundert Jahren, wo sie auch spielt, so funktionieren können, mit Leser:innen, die noch nicht längst alles über Werwölfe wissen. Aber so ist es ein Schuss in den Ofen. Werwolf steht drauf, Werwolf ist drin, und so will sich zu keinem Zeitpunkt ein Gefühl von Spannung einstellen. Beinahe tut mir Purcell leid, dieses Buch in einer Zeit geschrieben zu haben, in welcher der Buchmarkt von Werwolfliteratur völlig übersättigt ist – aber so kann ich das Buch nur als das bewerten, was ich vorliegen habe, als einen gescheiterten Versuch, Spannung zu erzeugen.

Dabei hat die Autorin so viel richtig gemacht! Die Epoche, in der die Geschichte spielt, das frühe Neunzehnte Jahrhundert, fühlt sich gut recherchiert und so viel authentischer an als im kürzlich gelesenen Hex and Hexability. Die Figuren wirken wie authentische Kinder ihrer Zeit, auch wenn ich sagen muss, dass mir niemand von ihnen sonderlich sympathisch war, die Ich-Erzählerin trifft den  richtigen Ton, und die sich langsam aufbauende Romanze ist angenehm unsüß. Und wo viele Bücher, die ich in der letzten Zeit gelesen haben, das Finale versemmelt haben, gibt es hier einen netten, wenn auch wieder ein bisschen durchsichtigen, Trick, die Bestien in eine Falle zu locken.

Wäre ich als Leser nur so unwissend wie Camille, die Hauptfigur! Die ist ein durch und durch naives Mädchen aus gutem Haus, sorgt für einen gesellschaftlichen Skandal, als sie bei den Feierlichkeiten zur Krönung von George IV beim Rumknutschen mit dem schmucken Mr. Randall erwischt wird, und muss dann, damit sie nicht die Ehechancen ihrer Schwester ruiniert und um Buße zu tun, aufs Land zu ihrer bis dato unbekannten Patentante ziehen. Die lebt mit Vertrauter und Tochter Lucy in einem versteckten Häuschen, meidet die Menschen, und macht einen großen Eiertanz um die mysteriöse Krankheit, die Lucy plagt.

Man kann Camille nicht vorwerfen, dass sie keine Fragen stelle. Sie fragt, andauernd und immerzu, was Sache ist: Was für mich als lesenden offensichtlich ist, durchschaut sie nicht, und so stellt sie ihre eigenen Vermutungen und Nachforschungen an und beschwört aus Unwissenheit die große Tragödie herauf. So vieles in diesem Buch hätte vermieden werden können, wäre Camille nur einmal reiner Wein eingeschenkt worden. Aber gerade weil sich alle dafür entscheiden, ihr eben nichts zu verraten, was der Leser längst weiß, möchte man Camille immer nur packen und schütteln für ihre grausame Naivität und ihre dämlichen Entscheidungen.

Eingebettet ist die auf zwei Zeitebenen erzählte Geschichte in eine Rahmenhandlung, die dem Ende vorausgreift und leider ihren Teil dazu beiträgt, die ohnehin schon fragile Spannung noch weiter zu reduzieren. Da erleben wir Camille, die mit ihrer eigenen Metamorphose hadert, vom Silber verbrannt wird und den Geruch ihres Babybruders zum Anbeißen findet, und so wird die letzte Plotwendung, die noch hätte überraschen können, auch noch vorweggenommen. Von Anfang an weiß man also, dass es um Werwölfe geht, dass Camille am Ende selbst zum Werwolf wird, und die letzte offene Frage ist: Unter welchen Umständen, und durch wen?

Denn natürlich ist die leidende Lucy hier nicht der einzige Werwolf. Das ist schnell klar, denn Lucy hat ein Alibi, während draußen eine Bestie erst Schafe und dann die Pferde der Postkutsche reißt. Nur, wer mag das sein? Die Antwort darauf fand ich offensichtlich und naheliegend, werde sie aber hier nicht näher ausbreiten, falls auch nur ein:e Leser:in dieses fadenscheinige Plotgerüst nicht sofort durchschaut. Und auch die Frage, wen oder was Rowena und Bridget da im Kartoffelkeller verbergen, war für mich schnell beantwortet. Auch hier: Keine Überraschung – nur logisch war das ganze nicht, denn die Frauen hatten wirklich keinen Grund, dieses Geschöpf am Leben zu halten. Alles hätte dafür gesprochen, es zu töten – nur, dass dann das dramatische Finale nicht in der vorliegenden Form hätte stattfinden können.

So überschlagen sich auf den letzten Metern dann die Ereignisse, es wird blutrünstig, die Werwölfe wüten, unschuldige Leben sind in Gefahr, allen voran der kleine Jean, das unschuldige Baby – spannend wird es dabei trotzdem nicht mehr, der Zug ist längst abgefahren. Dass dabei die Werwölfe selbst wie Karrikaturen ihrer Selbst agieren, nicht bedrohlich wirken, sondern unfreiwillig komisch rüberkommen, dass die Schurken erst dramatische Monologe halten und dann alle Würde über Bord werfen, passt leider zu gut zum Rest des Buches, das einfach zu viel falsch macht. Die Monster, die man sieht, sind immer weniger gruselig als die Monster in der Vorstellung – und ich wüsste jetzt auch kein Beispiel für ein Buch oder einen Film, bei dem mir die Werwolf-Enthüllung gelungener in Erinnerung geblieben wäre.

Geifernde rotäugige Riesenwölfe sind einfach nicht meine Vorstellung von Horror, das war schon bei The Bell Witches so. Und Moonstone versucht auch gar nicht groß, Grusel zu erzeugen. Es verbringt mehr Zeit damit, die langsam wachsende Freundschaft zwischen Camille und Lucy aufzubauen, und die ist durchaus interessant und gut gelungen – anders als Camille, die eine schon zu archetypische Regency-Heroine ist, ist die eher herbe Lucy eine ungewöhnliche, zerrissene Figur, die darunter zu leiden hat, dass ihre Erkrankung einfach zu durchsichtig ist und dadurch an Drama verliert, dass sich dann einfach in ihren Verhalten zu viel wiederholt.

Ist das Buch, wenn schon nicht spannend, dann wenigstens romantisch? Für mich leider auch nicht. Dafür vergeudet Camille zu viele Gedanken an den schleimigen Mr. Randall, der über weite Teile des Buches so tut, als wäre er der Love Interest, was aber daran scheitert, dass er nicht für zehn Pfennig sympathisch rüberkommt, die Chemie zwischen ihm und Camille nichtexistent ist – und das Buch, als sapphische Liebesgeschichte beworben, von Anfang an klarstellt, dass es hier auf ein anderes Ende hinauslaufen soll. Womit dann auch die letzte Überraschung vorweggenommen wäre. Noch nicht mal für Regency-Fans bietet das Buch viel, weil es überwiegend fernab der Gesellschaft auf einem Bauernhof spielt, wo es keine rauschenden Bälle oder gesellschaftliche Intrigen gibt, sondern vegetarische Kost und wenig modische Wollkleider.

So bleibt Moonstone bis zum Ende enttäuschend und muss sich einreihen in die zu lange Liste von Büchern, deren Auflösung mir durch ungeschicktes Marketing oder enthüllendene Klappentexte gepoilert worden ist. Mehr Mut zum Verhüllen hätte dem Buch gutgetan. Zumindest von der Romanze wäre ich gern positiv überrascht worden, wenn schon nicht von den Werwölfen. Aber so bleibt das Buch eine durch und durch vorhersehbare Aneinanderreihung von dramaturgischen Fehlentscheidungen.

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