Makana Yamamoto: Hammajang Luck

Ich liebe ja meine Überraschungsbuchboxen. Nicht nur spülen sie mir schöne Bücher ins Haus, die ich mit Freuden anschauen und begrabbeln kann – ich bekomme auf diese Weise auch Lesestoff, auf den ich sonst vielleicht nie gekommen wäre. Natürlich, nicht alles davon haut mich dann aus den Socken, aber ich freue mich, auf diese Weise meinen Lesehorizont erweitern zu können. Und weil eine Box nicht genug ist, sind es inzwischen drei, die jeden Monat bei mir landen: The Locked Library, The Forbidden Wing, und mein persönliches Highlight, die Illumicrate-Box, die mir über das Buch hinaus noch ein paar Rumsteherlis und buchische Gimmix mitbringt. Die Bücher finde ich noch eine Spur schöner als die aus der Locked Library – aber auch wenn ich diese Box seit August bekomme, habe ich noch kein Buch daraus gelesen.

Diesen Herbst hatte ich einen Durchhänger, habe nur wenig gelesen, und komme erst langsam zurück auf die Beine, um mein Jahresziel von fünfzig Büchern doch noch schaffen zu können. Dafür hatte ich wieder mit dem Gamen angefangen, wollte versuchen, endlich Cyberpunk 2077 durchzuspielen – und genau in diese Situation hinein, als ich so richtig im Cyberpunk-Fieber war, kam die Illumicrate-Box und brachte mir Hammajang Luck von Makana Yamamoto. Und nachdem mich der Titel erst ratlos zurückließ – mein Englisch ist ja wirklich gut, aber das Wort Hammajang hatte ich noch nie gehört – klärte mich dann der Klappentext darüber auf, dass dieses Wort aus dem Hawaiianischen Pidgin stammt und so viel wie »durcheinander, chaotisch« bedeutet – und das Buch von einem großen Heist handelt, in einem Cyberpunk-Setting. Ich liebe Heists, und Cyberpunk gerade besonders, und so ließ ich das Spiel Spiel sein und machte mich an die Lektüre – und fand auf den letzten Metern noch ein absolutes Jahreshighlight.

Das ging schon mit dem Vorwort los. Normalerweise lese ich Vorwörter erst nach dem eigentlichen Roman, um mich nicht zu spoilern, aber hier machte ich eine Ausnahme, weil mich interessierte, wie sich Cyberpunk und Hawaii miteinander vereinen lassen und wie die persönlichen Erfahrungen von Yamamoto, geboren auf Maui, da mit hineingespielt haben. Und ich verstand, dass dieses Buch ein zutiefst persönliches Werk ist – die Geschichte der Hawaiianischen Diaspora, nachdem der Klimawandel die Inselgruppe im Meer versenkt hat, die Hauptfigur nichtbinär und lesbisch wie Yamamoto selbst, die Geschichte einer Familie, in der Yamamoto auch den Tod des eigenen Bruders verarbeitet hat.

Und schon im Vorwort verstand ich, dass dieses Buch auch mich persönlich berühren würde. Ich bin selbst nichtbinär, identifiziere mich als transgender, und in den Figuren von Hammajang Luck habe ich mich mehr wiederfinden können als in vielem, was ich dieses Jahr gelesen habe. Jetzt muss ich gestehen, dass selbst ich, als persönlich Betroffener, über Neopronomen stolpere. Im Englischen, wo die meisten nichtbinären Menschen They/Them-Pronomen benutzen, ist das nicht so problematisch, aber im Deutschen, wo es eine schier unübersichtliche Menge verschiedener Neopronomen gibt, ist das auch für mich immer noch ungewohnt, und ich wünschte, es gäbe eine einheitliche, eingängliche Lösung. Hammajang Luck hat es mir leicht gemacht, weil Protatonist:in Edie die Geschichte in der Ich-Perspektive erzählt und darum die entsprechenden Pronomen nur ins Spiel kommen, wenn andere Bezug auf siem nehmen.

Trotzdem wird das Buch für die Übersetzerin der für Sommer 2025 angekündigten deutschen Fassung eine besondere Herausforderung – nicht nur wegen Edies Pronomen, aber vor allem, weil die Figuren untereinander immer wieder Pidgin sprechen. In der englischen Fassung ungewohnt, aber man liest sich schnell rein, und ich fand es auch leicht zu verstehen – nur, wie will man das übersetzen? Mit einem deutschen Dialekt? Es gibt hierzulande nichts, was mit dem Pidgin vergleichbar wäre, und ich denke, wenn das Buch auf Deutsch erschienen ist, werde ich doch mal einen Blick hineinwerfen, um zu sehen, wie sie das mit dem Pidgin dann umgesetzt haben. Aber es hat mich doch gefreut, dass man diesem besonderen, queeren Buch zutraut, auch auf dem deutschsprachigen Markt erfolg zu haben.

Der Marketing-Blurb des Buches auf Amazon nennt Hammajang Luck ein »devilishly funny and romantic heist adventure« – und wer das verbrochen hat, verdient Kloppe. Klar, gegenwärtig verkaufen sich romantische Fantasy-Bücher besser als solche ohne Romantik, aber das ist kein Grudn zu lügen. Es gibt hier eine Liebesgeschichte, die aber erst auf den letzten Metern relevant wird, und der Großteil des Buches ist alles andere als romantisch. Vor allem aber ist das Buch nicht witzig. Es ist bewegend, herzzerreißend, großartig – so viele Adjektive drängen sich bei der Lektüre auf, aber »teuflich witzig« ist sicher nicht darunter. Auch wenn Heist-Geschichten oft witzig sind, müssen sie es nicht sein, und diese hier ist nicht von der witzigen Sorte.

Das Buch erzählt die Geschichte von Edie, nach acht zu langen Jahren aus dem Gefängnis entlassen und widerwillig in einen letzten großen Coup hineingezogen, mit dem Ziel, nicht weniger als eine Billion (im Englischen: Trillion) Credits von dem Großindusutriellen Joyce Atlas zu erbeuten. Damit hätte Edie ausgesorgt, könnte die Schulden der Schwester, die Krebsbehandlung der Nichte, und vieles mehr bezahlen. Aber Edie will eigentlich nicht – zum einen will sier bloß nicht wieder im Gefängnis landen, zum anderen ist die Person, die den Heist aufzieht, niemand anderes als Angel, mit der Edie noch eine gewaltige Rechnung offen hat: Vor acht Jahren war es Angel, die für Edie damals sowas wie eine Schwester und mehr war, die Edie verraten und ins Gefängnis gebracht hat, und so was verzeiht man nicht so schnell.

Aber Edies Versuche, anständige Arbeit zu finden, scheitern, weil sier sich auf einer schwarzen Liste wiederfindet, und auch wenn Edies Schwester Andie, bei der sier untergekommen ist, Edie auch ohne finanzielle Gegenleistung unterstützen würde, läuft es dann doch auf den großen Heist hinaus. Dafür wird die übliche Bande an Außenseitern, wie wir sie aus Serien wie Leverage und anderen Heist-Geschichten kennen, zusammengestellt – Mastermind, Hitter, Hackerin, Runner, Diebin, Schwindlerinnen – jede:r hat eigene Gründe, wofür man 125 Milliarden Credits brauchen kann, bringt eine eigene Agenda mit, und nicht alle sind geborene Teamplayer, sodass es auch innerhalb der Gruppe immer wieder zu Reibereien kommt.

Das Buch nutzt die Möglichkeiten, die das Cyberpunk-Setting auf der Raumstation Keppler bietet, hat aber, wo es um die Sicherheitsmaßnahmen im hermetisch abgeriegelten Tresorraum geht, auch noch ein paar analoge Asse im Ärmel – vom Mag-Schloss über den berührungsempfindlichen Boden, den schon beinahe abgedroschene Laser-Parcours bin hin zum klassischen altmodischen Tresor ist alles dabei, was ein Heist braucht, und natürlich müssen sie sich überhaupt erst einmal dahin schwindeln, wo sie alle Zugangscodes, Fingerabdrücke und Retina-Scans beisammen haben. Das liest sich angenehm raffiniert, ist gut durchdacht, ausgefeilt, und bringt ein paar schöne Action-Sequenzen mit sich.

Aber was ich an dem Buch wirklich geliebt habe, war die Psychologie hinter den Figuren. Die fragile Beziehung zwischen Edie und Schwester Andie ist wirklich bewegend, und die Zerrissenheit von Edie, dier gezwungen ist, sich in mehr und mehr Lügen zu verstricken gegenüber der Person, die sie mehr liebt als alle anderen, ist ebenso überzeugend wie die Hassliebe zu Angel, bei der man nie weiß, ob man ihr nun trauen kann oder ob sie doch ein doppeltes Spiel führt. Auch die Nebenfiguren, die anderen Mitglieder des Teams, haben mich überzeugen können – besonders berührt hat mich Cy, der trans ist und nach erfolgter Transition immer weiter damit fortfährt, seinen Körper mit Cyberware zu modifizieren, hat mich berührt, und ich hätte ihm noch eine etwas größere Rolle in der Geschichte gewünscht.

Ein Heist ist eine Teamarbeit, bei der jede:r eine eigene Aufgabe hat und man oft auch allein unterwegs ist: Bei einem Buch, das wie hier aus einer einzigen Perspektive erzählt ist, kann das ein Problem darstellen, weil Edie nicht überall sein kann und nicht immer dabei, wenn die Schwindler sich in Atlas Unternehmen hinein schwindeln oder Cy den Sicherheitsdienst unterwabdert. Das buch löst das zum Teil, indem die Figuren über ein Comm-System miteinander verbunden sind und mithören können, was geredet wird, und an anderen Stellen, indem die anderen Teammitglieder unauffällig über das gleiche Restaurant verteilt sind, in dem gerade verhandelt wird – aber das ist eine Gradwanderung, die schon manchmal etwas an den Haaren herbeigezogen wirkt, um das Perspektivproblem zu lösen. Aber das ist wirklich Meckern auf hohem Niveau. Das Buch ist gut gelungen, gut geschrieben, und hat mich wirklich auf ganzer Linie überzeugen können.

Was ich mir wirklich gewünscht hätte, wäre ein Index für die zahlreichen Begriffe aus der hawaiianischen Sprache, mit denen die Figuren um sich werfen. Da habe ich mir zum Teil mit Google Translate helfen können – aber manchmal hat Übersetzung dann nur neue Rätsel aufgeworfen, wenn mir zum Beispiel ein Wort mit »Wurzelwolke« übersetzt wurde, was nicht nur im Zusammenhang keinen Sinn ergeben wollte. Vielleicht wäre das eine Überlegung für die deutsche Übersetzung, dann könnte ich mal spinxen … Ich weiß wirklich nur sehr wenig über die hawaiianische Kultur, der ich bislang hauptsächlich in Disneys Lilo & Stitch begegnet war, und ich denke, ich habe mit diesem Buch viel darüber lernen können, auch wenn die Geschichte im 22. Jahrhundert auf einer Raumstation, weit weg von den Inseln, spielt.

Aber auch ohne Index gibt es von mir eine klare Leseempfehlung. Auch Menschen, die weder nichtbinär noch lebisch sind, können sich, denke ich, in dieser Geschichte wiederfinden – es ist ein Buch über Freundschaft, über Familie, über Schuld und Versöhnung, und ich freue mich, dass es mir ins Haus geflattert ist. Ich habe es innerhalb von zwei Tagen runtergelesen, so sehr hat es mich gefesselt, und ich freue mich schon, mehr von Yamamoto zu lesen. Hammajang Luck ist in sich abgeschlossen, braucht keine Fortsetzung, aber ich kann mir vorstellen, es in ein paar Jahren einfach nochmal zu lesen, so gut hat es mir gefallen. Jetzt könnte ich Cyberpunk 2077 weiterspielen. Aber ich denke, ich bleibe doch erstmal lieber weiter am Lesen.

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