Phoebe Atwood Taylor: The Cut Direkt

Das Wiedersehen mit alten Lieblingsbüchern kann ganz schön nach hinten losgehen, wenn man feststellen muss, dass sie nicht so gut gealtert sind wie man selbst. So war ich letztes Jahr nach der Lektüre von Phoebe Atwood Taylors Kriminalroman Beginning with a Bash, dem Auftakt der Krimireihe um Shakespeare-Doppelgänger Leonidas Witherall, wenig begeistert – das Buch erschien mir bei allem Witz als wenig spannend, rassistisch und misogyn, und auch wenn ich eigentlich die ganze ehedem geliebte Reihe nochmal lesen wollte, hat es ein gutes Dreivierteljahr gedauert, bis ich mir den zweiten Band, The Cut Direct, vorgenommen habe. Der war nämlich ein absoluter Lieblingsroman von mir, und um so höher erschien mir dessen Fallhöhe.

Um 1992 herum habe ich das Buch, in seiner deutschen Übersetzung Wie ein Stich durchs Herz in Dumont’s Criminal-Bibliothek erschienen, zum ersten Mal gelesen, und ich war so begeistert wie nur was. Es war lustig! Es hatte Shakespeare! Es war ein Krimi! Und so verschenkte ich das Buch nicht nur, ich las es auch in Gänze vor, erst meiner Schwester, später meiner besten Freundin, die mir im Gegenzug den Herrn der Ringe vorlas – und noch heute, mehr als dreißig Jahre später, zitieren mein Mann und ich immer noch gerne markante Sätze aus dem Buch, angefangen mit dem gebetsmühlenartig vorgetragenen »Die ganze verdammte Gesellschaft ist unfair zu Stanton Kaye! Die ganze verdammte Gesellschaft wird nur von Handtaschen regiert!«, wann immer sich eine Gelegenheit dazu bietet.

Jetzt habe ich das Buch also nochmal gelesen, zum ersten Mal in der englischen Originalfassung. Ich habe nur zwei Tage dafür gebraucht, es hat sich wirklich gut runterlesen lassen – aber auch Beginning with a Bash war eine leichte Lektüre und hat mich trotzdem angesäuert zurückgelassen. Und ich kann zumindest sagen, dass mir The Cut Direct um Längen besser gefallen hat. Aber ich habe auch gemerkt, dass ich keine siebzehn Jahre mehr alt bin, dass ich in der Zwischenzeit bessere Bücher gelesen habe, und ich weiß nicht, ob ich das Buch heute noch zum Lieblingsbuch erklären würde.

An die Geschichte konnte ich mich noch gut erinnern: Leonidas Witherall wird erst mutwillig über- und dann, nachdem er das überstanden hat, versehentlich angefahren und kommt zu Bewusstsein im Haus eines ehemaligen Schülers, der ihm gegenüber im Ohrensessel sitzt mit einem Bratenmesser in der Brust. Auch wenn dieser Bennington Brett ein Widerling war, den niemand vermissen wird, muss die Tat aufgeklärt werden, und da Leonidas der Hauptverdächtige ist, muss er den Fall aufklären, während er durch einen verregneten Bostoner Vorort flieht und dabei in allerlei immer schrägere Situationen gerät. Aber Leonidas wäre nicht Leonidas, wenn er nicht immer noch ein As im Ärmel hätte – und eine Reihe guter Verbündeter …

Die Bände von Krimireihen steigen und fallen mit zwei Variablen: Wiedererkennungswert und Originalität. Man möchte ein vertrautes Gefühl haben, aber nicht denken müssen, dass man das gleiche Buch schon zehnmal gelesen hat. Dorothy Sayers und Margery Allingham waren darin, meiner persönlichen Ansicht nach, besser als Agatha Christie, aber die Reihe um Leonidas Witherall würde ich jetzt irgendwo im unteren Mittelfeld ansetzen. Der wohlige Vertrautheitsfaktor ist zwar gegeben, aber die einzelnen Teile haben doch arg viel Ähnlichkeit miteinander, laufen zu sehr nach Schema F ab oder, wie man in The Cut Direct sagen würde, Plan Fünf:

Leonidas Witherall stolpert über eine Leiche, gerät unter Mordverdacht und wäscht seinen Namen rein, indem er den Fall selbst aufklärt. Zu diesem Behufe sammelt er eine Gruppe illustrer Gestalten um sich, darunter eigentlich immer eine rüstige reiche Witwe und ein Pärchen, das es mit dem Gesetz nicht zu ernst nimmt. Am Ende stellen sie dem Mörder eine Falle, angelehnt an Hannibals List bei der Schlacht von Cannae, ganz wie es in den von Leonidas verfassten und ausgesprochen erfolgreichen Büchern um Abenteuer-Serienheld Lt. Hazeltine passiert. Dabei ist der Zufall König und trägt mehr zur Aufklärung des Falles bei als die berüchtigten Kleinen Grauen Zellen, und das ganze ist mit einer Menge Witz, screwball-schnellen Dialogen, und Shakespeare-Zitaten gewürzt.

In Beginning with a Bash musste Taylor – bzw. ihr Autorinnen-Alter Ego Alice Tilton – erstmal ein Gefühl für ihre Hauptfigur bekommen, aber ab The Cut Direct hat sie ihr Strickmuster gefunden und weicht, zumindest soweit ich mich daran erinnere, nicht mehr davon ab. Vieles übernimmt sie dafür nahezu eins-zu-eins aus dem ersten Buch, vielleicht, weil das zu dem Zeitpunkt auf dem amerikanischen Markt nicht neu aufgelegt werden konnte und sie die Ideen einfach gerne nochmal unter Volk bringen wollte, aber die Figuren, mit denen sich Leonidas »Bill Shakespeare« Witherall umgibt, sind denen in Beginning with a Bash wirklich extrem ähnlich. Die patente Mrs. Cassie Price ist nahezu eine eins-zu-eins-Kopie zu Mrs. Agatha Jordan, der rüstigen Witwe aus dem ersten Buch, und auch die meisten anderen Figuren haben ihre Entsprechungen – anstelle eines Mob-Bosses und dessen Freundin gibt es hier einen Langfinger nebst Freundin, die auch, wie Gertie im ersten Buch, als Dienstmädchen angeheuert hat.

Ich vermute, Taylor hätte gern die alten Figuren einfach weiterverwendet und hat sie, weil ihr da verlagsrechtlich die Hände gebunden waren, schlichtweg plagiiert. So ist die einzige wirlich neue Figur in The Cut Direct der von mir so gern zitierte Stanton Kaye, Fabrikbesitzer, Sozialist, Lebemann, der wahlweise Shakespeare zitiert oder schmollt und seine Gefährten mit dem einen wie anderen zu nerven pflegt. Teenie-Ich fand ihn ganz toll, Mittelaltes Ich kann das mit dem Genervtsein gut nachvollziehen. Es kann, und es muss viel passieren, bis ich das sage, auch zu viele Shakespeare-Zitate geben.

Zu den Dingen, die mir hier besser gefallen haben als beim ersten Buch, ist, dass es ein richtiger Krimi ist. Diesmal ist nicht nach den ersten hundert Seiten raus, wer der Täter ist, sondern man kann bis zum Ende mitraten – und das hätte ich gern getan, aber leider habe ich das Buch in den 1990ern so oft gelesen, dass mir sofort bei der ersten Erwähung einer Person eingefallen ist, dass das der Mörder war. Trotzdem hatte ich nicht mehr den ganzen Plot im Kopf, bin noch ein paarmal ganz nett überrascht worden, und muss am Ende doch sagen, dass das Buch wirklich arg konstruiert und zu vieles an den Haaren herbeigezogen ist. So nett es ist, sich bei jedem abenteuerlichen Zufall auf »das Schicksal, dieser Krake mit seinen schleimigen Armen« (ausnahmsweise mal kein Shakespeare-Zitat, sondern ein echter Witherall) zu berufen – irgendwann nutzt sich dieses ganz Zufällig-der-richtigen-Person-über-den-Weg-laufen doch arg ab.

An anderen Stellen fand ich das Buch auch ziemlich unlogisch. Da wird nach Leonidas als »Mann mit Bart« gefahndet bis hin zum Schießbefehl, und während er zigmal die Verkleidung wechselt, kommt er – und auch sonst keiner seiner Gefährten – keinmal auf die Idee, das Corpus Delicti einfach abzurasieren. Es ist eine Zeit, in der Mann keinen Bart trägt – von Schnurrbärten mal abgesehen -, und seiner führt dazu, dass Leonidas‘ Ähnlichkeit mit Shakespeare um so deutlicher rauskommt: Warum Leonidas, dem diese Vergleiche eigentlich unangenehm sind, dann überhaupt einen Bart trägt, wird nie beantwortet und nie auch nur gefragt. Aber so sehr ich selbst Bärte mag – spätestens, wenn mein Leben auf dem Spiel steht, würde ich die Haare opferm. Ein Shakespeare-Bärtchen wächst schnell wieder nach.

An manchen Stellen habe ich aber immer noch hellauf lachen müssen. Wenn Leonidas, der sich eigentlich aus dem Staub machen wollte, für den Dozenten eines Vortrags gehalten und von einem Gesellschaftsdamenclub verhaftet wird, um dann ausgerechnet über Shakespeare referieren zu dürfen und damit Begeisterungsschübe zu entfachen, ist das immer noch amüsant. Die Dialoge – und sie machen einen Großteil des Buches aus – fetzen, die Figuren spielen sich die Bälle zu, das Tempo stimmt, und so fliegt man nur so durch die Seiten. Es hat wirklich Spaß gemacht, das Buch noch einmal zu lesen, mich auf die besten Momente zu freuen und zu schauen, wie sie der Zeit standgehalten haben.

Aber nicht alles liest sich fast 90 Jahre nach Erscheinen des Buches heute noch ohne zumindest eine hochgezogene Augenbraue. Wenn es, im Zusammenhang mit Cassies zwölfjährigem Enkel, heißt »Leonidas […] considered himself a connoisseur of boys«, was sowohl »Kenner« als auch »Genießer« heißen kann, liest sich das heute ziemlich problematisch, und man würde das sicher anders formulieren, um den pensionierten Lehrer Leonidas nicht wie einen verkappten Pädophilen dastehen zu lassen. Aber wenigstens hat dieses Buch, anders als Beginning with a Bash, nicht diese rassistischen oder frauenfeindlichen Untertöne, was die Lektüre deutlich angenehmer gemacht hat.

Deutlich besser in Erinnerung hat ich hingegen das Ende des Buches. Die große List, das Leonidas’sche Cannae, beginnt zwar ganz nett mit ein paar Telefonanrufen mit lustig verstellter Stimme – überhaupt ziehen sich Telefongespräche wie ein roter Faden durch das Buch – aber dann endet es damit, vom gefesselten Mordverdächtigen unter Androhung massiver Gewalt ein Geständnis zu erpressen, und dass diese Gewalt eben nur drastisch beschrieben und nicht ausgeführt wird, hat den faden Beigeschmack dieser Szene nicht übertünchen können. Nicht alles, was beim fiktiven Lieutenant Hazeltine funktioniert, muss man auch in die Tat umsetzen.

So denke ich insgesamt, dass mir das Buch vor dreiunddreißig Jahren besser gefallen hat als heute. Es war eine nette, vom Schluss abgesehen angenehme Lektüre, ein sentimentales Wiedersehen mit einem Helden meiner Jugend, aber ohne diese Vorgeschichte hätte ich es wahrscheinlich nicht in die Hand genommen, und ich würde die Reihe heute nicht mehr so frenetisch weiterempfehlen wie damals. Was ganz gut ist, denn auch dieses Buch ist lange vergriffen und seit der Jahrtausendwende nicht mehr aufgelegt worden, weder auf Deutsch noch auf Englisch. Wer Spaß an Screwball-Comedy und Cosy Crime hat, kann seinen Spaß an The Cut Direct haben – aber bitte, überspringt den ersten Band der Reihe, der ist die Lektüre nicht wert.

Ich denke, ich werde auch die übrigen Bände Abenteuer Leonidas Witheralls lesen – zumindest den vierten Band, The Left Leg, habe ich noch als richtig gut in Erinnerung – aber es muss nicht sofort sein. Die Bücher laufen mir nicht weg, und ich will nicht all meine sentimentalen Erinnerungen auf einen Schlag einkassieren, wenn sich die Bücher doch als Enttäuschung herausstellen sollten. Aber ich denke, ich kann ohne schlechtes Gefühl weiterhin aus The Cut Direct zitieren. Der ist nicht der beste Krimi, der jemals geschrieben wurde. Aber für mich bleibt er Kult.

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