T. Kingfisher: A House With Good Bones

Über die amerikanische Autorin T. Kingfisher hatte ich bislang nur Gutes gehört, aber noch nie etwas von ihr gelesen. Um so mehr habe ich mich gefreut, von einer befreundeten Autorin aus dem Tintenzirkel-Forum das Buch A House With Good Bones von meiner Wunschliste geschenkt bekommen zu haben, und weil mich Cover und Klappentext wirklich sehr angesprochen haben, ist es nach ganz oben auf meinen Stapel Ungelesener Bücher gewandert und wurde das zweite Buch, das ich mir dieses Jahr vorgenommen habe.

Da kommt Sam Montgomery nach über einem Jahr wieder zum Haus ihrer Mutter in South Carolina – die archäologische Ausgrabung, auf der die Entomologin in menschlichem Müll nach Käferhülsen suchen sollte und daraus ableiten, was die Menschen früher gegessen haben, wurde gestoppt, nachdem menschliche Überreste gefunden wurden, und weil sie ihre Wohnung in Arizone inzwischen untervermietet hatte, quartiert sie sich für einen guten Monat bei ihrer Mutter ein. Der große Bruder hat sie schon gewarnt, dass mit Mutter etwas nicht stimmt – doch ist Sam entsetzt, was für ein Bild sich in dem Haus, das früher der Großmutter gehört hat, bietet – und da ist der Rabengeier auf dem Briefkasten noch das harmloseste Omen.

Innen herrschen nicht mehr die bunten Farben, mit denen ihre Mutter das geerbte Haus gestrichen hatte, sondern, wie zu Großmutters Zeiten, beige und eierschal. Selbst ein von sowohl Mutter als auch Tochter verhasstes, konföderierte Soldaten glorifizerendes Gemälde hängt wieder an der Wand, und die liberal-säkuläre Mutter besteht plötzlich darauf, vor den Mahlzeiten zu beten … Sams Mutter ist abgemagert, ängstlich besorgt, es jedem recht zu machen, aber nicht wie völlig ausgetauscht: Sie schaut immer noch weintrinkend mit ihrer Tochter britische Krimiserien, sie hat ihren Humor nicht verloren, aber sie lässt kein Wort auf ihre verstorbene Mutter kommen, und nach und nach kriecht das Übernatürliche in den Alltag an der Lammergeier Lane …

Und schon nach den ersten paar Seiten verstand ich, wo all die Empfehlungen für diese Autorin herkamen: Lebhaft, authentisch, sprachlich fein geschrieben, ohne Längen, die Hintergrundinfos wohlverpackt, machte dieses Buch einfach Freude, und auch wenn mein Zeitplan meinte, dass ich die etwas über 300 Seiten in fünf Tagen durcharbeiten sollte, habe ich es stattdessen innerhalb von weniger als vierundzwanzig Stunden regelrecht inhaliert. Gut zweihundert Seiten lang war ich überzeugt, einen Volltreffer gelandet zu haben, nach dem guten Start mit Until We Shatter meinen zweiten Fünf-Stern-Kandidaten gefunden zu haben – und dann, leider, ging es bergab.

Selten hat mich ein Buch so begeistert, um mich dann auf den letzten Seiten buchstäblich zu verlieren – regelrecht zornig habe ich meinem Mann die Plotwendungen erzählt, über die ich so geärgert hatte, und er stimmte mir zu: Ein klassischer Fall von »Jumping the Shark«, um so ärgerlicher, weil die ersten zwei Drittel des Buches eben wirklich überragend gut sind. Und die Sprache bleibt toll, und die Spannung stimmt auch, so dass ich das letzte Drittel dann genauso schnell gelesen habe wie den Rest – und stehe jetzt zwiegespalten da, welche Endnote ich dem Buch geben soll.

Ich habe, was ich sonst selten tue, bei Goodreads gespinxt, was die Kolleg:innen sagen, und das war sehr interessant zu lesen. Alle geben dem Buch im Schnitt die dreieinhalb Sterne, die ich dann auch gegeben habe – aber die einen argumentieren wie ich: Das Buch verliert seine Atmosphäre, kippt um in ein sinnloses Actionspektakelt, wie schade – während die anderen schreiben »Der Schluss ist super, aber das Buch kommt viel zu langsam in Fahrt«. Was das angeht, bietet A House With Good Bones offenbar etwas für jeden – und lässt gleichzeitig jeden irgendwie unbefriedigt zurück.

Dabei kann ich gar nicht oft genug sagen, wie sehr ich den Großteil des Buches geliebt habe. Das Buch erzeugt Grusel durch langsam anschwellende Beklommenheit – noch nie ist mir angesichts eines gepflegten Vororthäuschens mit überbordenden Rosenbüschen und beigen Wänden so kalt den Rücken hinuntergelaufen. Da braucht es noch nicht einmal Geistererscheinungen, da reicht mir die Ungewissheit, dass etwas mit Sams Mutter gewaltig nicht stimmt. Die wissenschaftlich-skeptische Sam fürchtet, ihre Mutter könnte dement werden, vielleicht wird sie ja auch von einem Stalker bedroht, an etwas Übernatürliches denkt oder glaubt sie nicht – und hält sich, für mein Empfinden, ein bisschen zu lang daran fest, dass es ja keine Geister gibt, weil da die Leser längst Bescheid wissen:

Die gestrenge Großmutter übet übers Grab hinaus Einfluss auf ihre Tochter aus, bringt selbst Sam dazu, ein Nachtgebet zu sprechen, und die Farbgestaltung und Dekoration – ganz so, wie es Gran Mae gefallen hätte – dient der Beschwichtigung ihres rastlosen Geistes. Das ist jetzt kein großer Spoiler, weil das sehr schnell sehr klar ist – aber obwohl das Buch nicht mit großen Überraschungen aufwartet, bleibt es spannend, dass ich eine Seite nach der anderen verschlungen habe. Das liegt zuallererst an Kingfishers Sprache, an Sams lakonischer Ich-Erzählung, die sie uns als eine hochinteressante, ganz und gar lebendige und authentische Figur präsentiert.

Auch die anderen Figuren sind differenziert und interessant gezeichnet. Kingfisher hätte zu leicht der Mutter Edith eine komplette Hirnwäsche verpassen können, sie von null auf hundert als die religiöse Fundamentalistin, die ihre eigene Mutter war, auftreten lassen – aber ihr gelingt der Spagat, sie als zerrissen zwischen ihrer eigentlichen Persönlichkeit und der Angst, die ihr Leben bestimmt, als ganz eigenständigen, vielschichtigen Charakter darzustellen. Das Verhältnis zwischen Mutter und Tochter, geprägt von Zuneigung auf der einen Seite, Unsicherheit auf der anderen – schließlich haben sie sich entsprechend lange nicht gesehen, müssen sich erst einmal wieder miteinander vertraut machen – gehört zu den Dingen, die das Buch absolut lesenswert machen.

Eine schiere Freude ist auch, wie gut das Buch recherchiert ist. Ich liebe es, wenn ich aus einem Roman noch etwas lernen kann, und hier habe ich ganz viel gelernt über Rosen, über alle Arten von Insekten, und über Geier. Nicht als Infodump, sondern nahtlos in die Handlung integriert – Sam ist vielseitig informiert, wissenschaftlich ausgerichtet, und recherchiert, was immer ihr in die Quere kommt, und gibt uns Lesenden freimütig Informationsmaterial so mit, dass wir es ihr auch abkaufen. Vielleicht hätten mir ein paar weniger Geier besser gefallen  – sie können ja langsam immer mehr werden, ohne dass gleich der Himmel schwarz sein muss vor kreisenden Geiern – und für mein entomologisches Interesse hätte mir ein Marienkäferschwarm gereicht, da brauche ich keinen zweiten – aber trotzdem, Rosen, Geier und Marienkäfer sind im Gruselroman nicht so abgedroschen, dass ich auch mit einer Überdosis von alldem gut leben kann.

So habe ich mich mit Begeisterung durch das Buch gearbeitet, meinem Mann von der Atmosphäre vorgeschwärmt und geschaudert angesichts der Tatsache, dass in dem prachtvollen Rosengarten jedwedes Insekt und anderes Krabbelgetier fehlt, im Schuppen nicht einmal Spinnweben zu finden sind – das ist, zu Zeiten des großen Insektensterbens, mit der größte Horror, den man sich nur vorstellen kann. Auch die Frage, warum die Rosen auch zwanzig Jahre nach Gran Maes Tod so üppig blühen, wo niemand mehr da ist, um sie zu pflegen, trägt zur beklemmenden Atmosphäre bei und gibt dem Buch das Gefühl, etwas Neues, Frisches zu sein.

An eigentlichen Geistererscheinungen spart das Buch, aber was es bietet, ist dann wirklich gruselig – wenn Sam nach einem vermeintlichen Alptraum unter Rosenblütenblättern aufwacht, wenn sie in einem alten Foto zwischen den Rosenbüschen etwas zutiefst verstörendes entdeckt, dann ist das fesselnd, gruselig, gut gelungen.

Aber dann, nach zwei Dritteln, die Zäsur. Mutter und Tochter fangen an, Tacheles zu reden, und plötzlich ist die ganze schöne Ungewissheit, die das Buch in der Schwebe hält, dahin. Zu dem Zeitpunkt hatte ich mich schon gefragt, wie lang Kingfisher die Atmosphäre noch aufrechthalten und steigern kann, da geht das ganze den Bach runter. Da überschlagen sich dann plötzlich die Ereignisse, da kippt mein schöner sanfter Grusel um in eine plakative Monstershow, da läuft nichts mehr kalt den Rücken runter – stattdessen gibt es Vibes von Audrey II aus dem Kleinen Horrorladen, unfreiwillig komisch und überhaupt nichts mehr unheimlich –

Und danach wird es nur noch schlimmer, finden wir uns in einem actionüberfrachteten Horror-B-Movie wieder, und ich hätte das Buch am liebsten gegen die Wand gepfeffert, wäre es nicht immer noch so verdammt spannend geschrieben gewesen, und ich hatte mir in den Kopf gesetzt, das Buch heute noch durchzulesen und zu rezensieren – dann eben nicht ganz so positiv, wie ich das ursprünglich geplant hatte. Ich denke, wer sowohl leisen atmosphärischen Grusel, als actionlastigen Horror mag, wird bei dem Buch ganz auf die Kosten kommen, aber ich habe es halt mit plakativem Horror überhaupt nicht, der gibt mir nichts, und darum fand ich persönlich das Ende wirklich ärgerlich.

Natürlich, vieles davon ist eine Frage der Geschmacksache. Aber mich haben auch ein paar Dinge gestört, die ich einfach als unlogisch oder unnötig empfunden habe. Zum Beispiel lebt Edith seit zwanzig Jahren allein im Haus ihrer Mutter – der Spuk hat aber erst vor einem guten Jahr angefangen. Warum? Was war der Anlass? Das wird nie erklärt. Auch auf die wirklich fesselnde Frage, warum im Garten nichts krabbelt, wird an keine Antwort gegeben, und nachdem das ein wirklich wichtiges Element der Handlung war, ist das wirklich unbefriedigend – an der Stelle, wo die Handlung in Action kippt, wird so viel, was das Buch langsam aufgebaut hat, einfach über Bord geworfen, es ist egal, und hat mich wirklich gestört.

So ist A House With Good Bones ein wirklich zweischneidiges Schwert. Ich habe noch nie vorher ein Buch weiterempfohlen, über dessen Ende ich mich so maßlos geärgert habe, aber das Buch ist einfach stilistisch so dermaßen gut, dass ich die Lektüre einfach nicht bereue. Den Großteil der Zeit, die ich mit dem Buch verbracht habe, habe ich es wirklich genossen, und ich wünsche anderen den gleichen Spaß, den ich mit diesem Buch hatte. Also: Lest dieses Buch, aber seid gewarnt, dass das Buch eine Hundertachtzig-Grad-Wende hinlegt, die nicht allen gefallen wird.

Nur frage ich mich jetzt, was ich mit Kingfishers anderen Büchern machen soll. Da sind viele, deren Klappentexte auch echt gut klingen, und ich bin in Versuchung, sie zumindest auf meinen Wunschzettel, wenn nicht gleich direkt in den Warenkorb zu legen. Nur weiß ich nicht, welcher Teil des Buches jetzt typisch für sie ist – schreibt sie ihren Grusel sonst subtil? Dann will ich mehr von ihr! Oder steht sie eigentlich für flashigen Horror, wie er mir in den Büchern, die ich in den Achtzigern von Stephen King gelesen habe, weniger gut gefallen hat? Der Schluss von A House With Good Bones hat mich enttäuscht, und ich werde ungern enttäuscht. So werde ich mir jetzt erst mal keine weiteren Kingfisher-Bücher zulegen. Der SuB ist auch so schon hoch genug. Und weil er sich gerade als leibhaftiger Bücherstapel auf meinem Schlafzimmerfußboden befindet, möchte ich, dass er Ende 2025 nicht mehr ganz so hoch ist wie jetzt.

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