Zu den Dingen, die ich für alle Zeit bereuen werde, gehört, dass ich keine Drei Fragezeichen-Autorin geworden bin. Ich war in meiner Kindheit ein großer Fan der Serie, und 2005 hatte ich die Chance meines Lebens, als eine befreundete Autorin aus dem Drei Fragezeichen-Team mir den Kontakt zur Redakteurin herstellte. Ich verfasste ein Exposé und drei Probekapitel für meinen ersten Fall, telefonierte mit der Redakteurin und hatte das Ganze fast in trockenen Tüchern, als ich – damals noch Vollzeit-Berufstätig – eine neue Stelle als Buchhändlerin bekam und eine Rückzieher machte, weil ich mir nicht zutraute, neben der Arbeit noch innerhalb von drei Monaten ein Romanmanuskript von 128 Seiten abzuliefern. Die Stelle verlor ich in der Probezeit, aber die Fragezeichen-Chance war vertan – und ich beiße mich immer noch in den Hintern deswegen.
In diesem Buch, das nie über die drei Leseprobe hinausgekommen ist, verfolgen die Drei Fragezeichen eine Spur, die ihren Anfang mit einer verschlüsselten Botschaft in einem Büchereibuch den Anfang nimmt. Ein anderer Fall, den ich schreiben wollte, drehte sich um eine neu aufgetauchte Poe-Handschrift, die aus einem verschlossenen Raum verschwindet. Und überhaupt hatte ich meinen bibliophilen Tendenzen und meinem Insiderwissen aus Buch- und Verlagswesen in meinen Plänen etwas zu großen Anteil eingeräumt, weswegen die Redakteurin am Telefon auch schon meinte, das müsse deutlich reduziert werden, damit es für die lesenden Kinder noch interessant bleibt. Und das, obwohl Bob in der Bibliothek jobt und ich, aus dem Bibliothekswesen kommend, da endlich wohlrecherchierten Realismus reinbringen konnte!
Hätte ich diese beiden Bücher wirklich geschrieben und veröffentlicht, ich hätte jetzt Jennifer Chambliss Bertman vorwerfen müssen, mir meine Ideen geklaut zu haben, so sehr hat mich Mr. Griswolds Bücherjagd – Das Spiel beginnt an meine damaligen Pläne erinnert. Da aber nie etwas aus den Ideen geworden war, ist die Ähnlichkeit reiner Zufall. Aber eine Schnitzeljagd mit versteckten Büchern und verschlüsselten Botschaften wäre DAS Buch schlechthin für mich gewesen, als ich zehn Jahre alt war, und auch Jahrzehnte später hat mich der Klappentext so spontan angesprungen, dass ich das Buch sofort gekauft habe, in deutscher Übersetzung, statt mich, wie sonst üblich, auf die Suche nach der Originalausgabe zu machen. Ich habe einfach zu viele schlechte oder lieblose Übersetzungen gelesen in meinem Leben, dass ich bei Büchern aus Sprachen, die ich gut beherrsche – also, Englisch – die Originalsprache bevorzuge. Und Mr. Griswolds Bücherjagd hat mich leider in diesen Vorurteilen bestätigt.
Aber auch ohne die oft inkonsistente Übersetzung hätte mich das Buch, das im Original Book Scavengers heißt, nicht wirklich überzeugen können. Das liegt nicht daran, dass die bibliophilen Hintergründe des Buches schlecht recherchiert gewesen wären – sind sie nicht – oder die Vorgänge aus dem Buch- und Verlagswesen falsch dargestellt wären – sondern daran, dass die Geschichte steif und leblos wirkt und alles in allem zu bemüht, um mich jemals wirklich abzuholen. Ich bin zwar nur so über die Seiten geflogen, aber das lag vor allem daran, dass ich mich nicht wirklich involviert gefühlt habe, keinen Grund hatte, tief eintauchen zu wollen, und vieles dann nur mit mildem Interesse überflogen habe.
Dabei ist die Idee hinter der Geschichte eine schöne: Eine Community, bei der ähnlich wie beim Bookcrossing Bücher in der ganzen Welt ausgesetzt werden, aber mit chiffrierten Hinweisen, die erst entschlüsselt werden müssen. Vor diesem Hintergrund hat Bertman eine Trilogie an Kinderbüchern, die Book Scavengers-Reihe, geschrieben – und parallel dazu gab es eine Webseite, die genau so eine Büchersuche wie im Buch beschrieben möglich machte. Von 2015 bis 2022 war die Seite aktiv, heute ist sie nur noch in archivierter Zeit zu bewundern, und das ist schade, denn als ich mir dieses Buch vor fünf, sechs Jahren gekauft habe, war sie noch aktiv, und ich hätte Spaß mit ihr haben können. Aber damals habe ich das Buch nur ins Regal gestellt und nicht gelesen, und selbst wenn:
Im ganzen Buch, zumindest in der deutschsprachigen Ausgabe, findet sich kein Hinweis darauf, dass diese Webseite existiert. Vielleicht, weil sie nie eine deutsche Lokalisation bekommen hat? So gibt es, im Nachwort, den Link zur deutschen Bookcrossing-Seite, aber keinen Hinweis auf die real existierenden Book Scavengers, und weil in der Übersetzung nur von »Mr Griswolds Bücherjagd« die Rede ist – deren Logo dann seltsamerweise aus den Buchstaben BS besteht – die Rede ist statt von »Book Scavengers«, war es für die lesenden Kinder schwer, auch mit Googlen die richtige Seite zu finden. Auch wenn das ein internationales Angebot war, sind in Deutschland nur wenige Bücher auf diese Weise versteckt worden, und das ist wirklich schade.
Emily, die Hauptfigur des Buches, lebt natürlich nicht in Deutschland, sondern in den USA, und da so ziemlich überall: Ihre Eltern haben das Ziel, einmal in jedem der fünfzig Bundesstaaten gelebt zu haben, und ziehen jedes Jahr um, was sie dann in ihrem erfolgreichen Blog festhalten. Für die zwölfjährige Emily bedeutet es, nirgends jemals Fuß zu fassen, und Freundschaften zu schließen, lohnt sich auch nicht, wenn man weiß, dass man wenig Monate später schon wieder weg ist. So sind Bücher ihre besten Freunde, sie ist begeistertes Bücherjagd-Mitglied, und schon auf dem Weg nach San Francisco, dem nächsten Ziel der Reise, hat sie sich ausgeschaut, welche versteckten Bücher da wo zu finden sind, löst auf der Fahrt Hinweise, und ist bitter enttäuscht, als ihr ein anderer User das gewünschte Buch schon weggeschnappt hat.
Auch wenn Emily eigentlich nicht nach Freunden sucht, freundet sie sich mit dem Nachbarsjungen James an, der ein Fan von Chiffren und Computern ist, aber irgendwie noch nie von der Bücherjagd gehört hat, obwohl die in San Francisco beheimatet ist und Mr. Griswold in der ganzen Stadt als der Willie Wonka des Buchwesens bekannt ist. Griswold hat schon das nächste große Spiel geplant, ist mit einem präparierten Exemplar von Poes Goldkäfer in der Tasche unterwegs zur Pressekonferenz, als er von zwei Ganoven überfallen und niedergeschossen wird. Das Buch bleibt in einem Versteck zurück, und natürlich finden die Kinder es und machen sich daran, die Hinweise zu entschlüsseln, die sie quer durch die Stadt und ihre literarische Vergangenheit führen – und so erschlägt das Buch seine jungen Leser:innen mit Verweisen auf den Beat-Poeten Jack Kerouac oder Dashiell Hammetts Malteser Falken, und ich muss mich fragen, für wen Bertman das Buch eigentlich geschrieben habt.
Es ist schön, dass sie sich so gut auskennt, sowohl in San Francisco als auch mit ihren literarischen Vorbildern, aber welches zehnjährige Kind interessiert sich für Hammett oder Kerouac? Man bekommt nicht einmal genug an die Hand, um hinterher On the Road oder den Malteser Falken lesen zu wollen, noch nicht mal den Goldkäfer, der im Plot eine große Rolle spielt, verkauft das Buch mir las lesenswerte Lektüre – das wäre eine Chance gewesen, Kinder für die Klassiker zu begeistern, aber so wichtig Edgar Allen Poe für die Geschichte auch ist, so wenig Lust bekommt man, sich mit ihm auseinanderzusetzen, das Buch bleibt bei drögen Nacherzählungen, die kein Interesse wecken.
Hier kommt erschwerend noch die Übersetzung ins Spiel. Ich weiß, dass Übersetzer:innen oft schlecht bezahlt und unter großem Zeitdruck arbeiten, aber hier habe ich stellenweise das Gefühl, als wäre das Buch außer von Elisa Martins noch von einer zweiten Person übersetzt worden, mit der sie sich nicht abgesprochen hätte. So wird die Cable Car, das ikonische Nahverkehrsmittel von San Francisco, mal mit »Straßenbahn« bezeichnet, später als »Cable Car«. Das Buch The Maltese Falcon wird bei seiner ersten Erwähnung als Die Spur des Falken bezeichnet, obwohl das ausschließlich der deutsche Titel des Films von 1941 ist, später heißt das Buch dann richtig Der Malteser Falke – andere Titel werden wiederum im englischen Original belassen, es gibt keine klar Linie, und ein ordentliches Übersetzungslektorat scheint auch nicht stattgefunden zu haben. Manche Stellen musste ich mir im Geiste zurückübersetzen, damit sie einen Sinn ergeben, und das ist nie ein gutes Zeichen.
Dafür wurden aber alle Chiffren, von denen es in dem Buch einige gibt, auch in der deutschen Fassung ordentlich chiffriert, hier hat die Übersetzerin offenbar ihren Spaß gehabt – wenn das nur im Rest des Buches auch so liebevoll umgesetzt worden wäre! So ist die Sprache ziemlich dröge und unterstreicht den leblosen Charakter des Buches: Die Figuren wollen einfach nicht ans Herz wachsen, bleiben immer im »Meh«-Bereich – sofern sie das Glück haben, positiv angelegte Charaktere zu sein. Die Gegenspieler hingegen, seien es die schießwütigen Ganoven oder James‘ rätselknackende Rivalin aus der Mittelschule, bleiben flache Schwarzweißmalereien, und die mit deutlichen Abstand schlechtesten Szenen des Buches erzählen nicht von Emily, sondern von Barry und Clyde und ihren Versuchen, das verlorene Buch wiederzubekommen.
Auch der Oberschurke, der von Anfang an deutlich als solcher zu erkennen ist, bleibt eine durch und durch unsympathische Knallcharge. Ausgerechnet in einem Buch, in dem es ums Rätsellösen geht, wird den Leser:innen alles rätsellösen abgenommen. Die meisten Chiffren werden sofort aufgelöst, es gibt keinen Grund, selbst zum Schreibzeug zu greifen und sich an die Lösung zu machen, und der Plot bleibt unspannend und durchsichtig, eben weil von Anfang an klar ist, was mit Mr. Griswold passiert ist und wer da hinter dem Buch her ist. Jedes Drei Fragezeichen-Buch hat besseres Gegenspieler, selbst Skinny Norris ist ein ausgefeilter Charakter im Vergleich zu Barry und Clyde, die am ehesten noch an die unglückseligen Einbrecher aus Kevin – Allein zu Haus erinnern und keinmal wie lebendige Menschen wirken.
Ich hatte auf etwas zum Mitraten gehofft, an etwas, das mich ans Knobeln bringen würde, aber so habe ich mich zunehmend lustlos durch das Buch geblättert. Dass die Reihe in Amerika ein Bestseller war, kann ich mir vorstellen, es muss auch eine ordentliche Marketing-Kampagne dafür gegeben haben, wenn sie sogar eine eigene Community dafür aufgezogen und sieben Jahre lang am Leben gehalten haben. Was hingegen in Deutschland der eher kleine Verlag Mixtvision unternommen hat, um das Buch zu vermarkten, kann ich heute nicht mehr nachvollziehen. Die drei Bücher – immerhin wurde die komplette Reihe übersetzt – sind jedenfalls noch lieferbar, auch wenn ich die Aufmachung in gedeckten Farben, mit scherenschnitt-Figuren vor stilisierter Stadt-Kulisse, gegenüber den deutlich bunteren amerikanischen Ausgaben doch ziemlich wenig ansprechend finde. Und nachdem mich der erste Band nicht wirklich abgeholt hat, werde ich auf die Bücher Der unlösbare Code und Die Gefängnisinsel doch wohl eher verzichten.
So bleibt das Beste am Buch tatsächlich das Nachwort, in dem die Autorin endlich einmal leidenschaftlich und mitreißend die Figur des historisch belegten Rufus Griswold – im Buch ein Vorfahr des Titelhelden – vorstellt, Feind und Nachlassverwalter Poes, der nach dessen Tod eine beleidigende Biografie voller übler Nachtrede, die sich lange gehalten hat, in Umlauf gebracht hat und der wirklich eine interessante Figur gewesen sein muss. In Mr. Griswolds Bücherjagd – Das Spiel beginnt bleibt der historische Griswold aber nur eine Fußnote, und was das Buch stattdessen an Figuren mitbringt, reicht einfach nicht aus, um mich beim Lesen bei der Stange zu halten. Schade drum. Aber ich denke, es ist doch ganz gut, dass ich damals meinen Drei Fragezeichen-Roman doc nicht geschrieben habe. So spannend ist das Buch- und Bibliothekswesen nämlich wirklich nicht, dass man es zum Dreh- und Angelpunkt eines Buches für Zehnjährige machen müsste.