Lindsey Kelk: The Bell Witches

Sage ich, Hexen sind in? Hexen sind so sehr in, dass mir die Locked Library jetzt den zweiten Monat in Folge einen Roman geschickt hat, in dem eine junge Frau erfährt, dass sie in Wirklichkeit eine Hexe ist – diesmal aber immerhin nicht mit einem historischen Setting, das wäre dann doch zu viel der Wiederholung gewesen, sondern zeitgenössisch. The Bell Witches ist der erste Band einer Trilogie, aber zumindest hinreichend in sich abgeschlossen, sodass man das Buch auch lesen kann, ohne gleich händeringend auf die noch nicht angekündigte Fortsetzung zu warten oder absolut unbefriedigt zurückzubleiben. Und obwohl mich doch nicht alles an der Geschichte überzeugen konnte und vieles doch ziemlich vorhersehbar war, habe ich das Buch doch mit Vergnügen gelesen.

Hauptfigur ist hier die sechzehnjährige Emily, die nach dem Unfalltod ihres Vaters zu ihrer bis dato unbekannten Großmutter nach Savannah, Georgia kommt – was sich trotz der Tatsache, dass Emily ihr kurzes Leben lang schon in den verschiedensten Ländern gelebt hat, immer noch als Kulturschock herausstellt. Schließlich hat sie zuletzt in einem walisischen Cottage gelebt, und jetzt überfordern sie sowohl das Klima als auch die Art der Leute, ganz zu schweigen vom Sweet Tea. Da Lindsey Kelk aber mit diesem Buch eine Liebeserklärung an Savannah erschaffen hat, freundet sich auch Emily schnell mit ihrem neuen Zuhause an, findet gute Freunde und tut am Ende alles, um ihre neue Heimat vor einer Katastrophe zu bewahren – die sie, so klar ist die Prophezeiung da nicht, möglicherweise selbst heraufbeschworen hat.

Prophezeiung? Genau. Emily erfährt im Laufe des Buches nämlich nicht nur, dass sie wie so viele Frauen in ihrer Familie eine Hexe ist – nein, sie ist auch noch die mächtigste Hexe seit Menschengedenken, bestimmt, Großes zu erreichen – oder eben großes Unheil zu bringen. Drunter tun wir es nicht. Und ich musste an mehr als einer Stelle an das soeben beendete Hex and Hexability denken, denn ebenso wie Tiffany die Gabe hat, Bilder zum Leben zu erwecken, läuft bald auch bei Emily ein Film auf der illustrierten Tapete ab. Nur hatte Tiffany solche Fähigkeiten schon als kleines Mädchen und sieht sich in der Eröffnung, eine Hexe zu sein, eher bestätigt – Emily hingegen ist von ihren sich urplötzlich entwickelnden Kräften doch ziemlich erschlagen.

Und sie kann so viel! Das hört mit Tapetentrickfilmen noch lang nicht auf – sie sieht Geister, lernt im Handumdrehen Pflanzenmagie, das Wetter um sie herum macht sich selbständig, und das ist alles erst der Anfang: Wenn ihr siebzehnter Geburtstag kommt, zu dem es nicht mehr lang hin ist, soll sie mit einem Ritual als vollwertige Hexe initiiert werden und dann ihre volle Kraft entfalten. So will es zumindest ihre Großmutter Catherine, das Familienoberhaupt, die ihre eigenen Pläne für Emily hat. Und das schon seit Emilys Geburt. Denn wie Emily zu ihrem großen Erstaunen erfährt, ist sie in Savannah geboren. Und ihr richtiger Name ist auch nicht Emily Caroline James, sondern Emma Catherine Bell – bis nach dem frühen Tod ihrer Mutter der Vater das Kind schnappte und damit in der Weltgeschichte verschwand.

So muss Emily nicht nur ihre neuen Fähigkeiten meistern, sondern auch versuchen, das Geheimnis ihres Vaters aufzudecken. Der hat ihr einen verschlüsselten Laptop hinterlassen und viele Fragen, aber zum Glück gibt es eine unbegrenzte Anzahl an Versuchen, das Systempasswort zu knacken, und viel Zeit dafür: Zur Schule muss Emily trotz ihres jungen Alters nicht mehr gehen, eine Ausbildung oder Studium waren zwar geplant, sind nach den Umbrüchen in ihrem Leben aber erstmal verschoben, und so bleibt wenig für sie zu tun, als mit ihren neuen Freunden abzuhängen, sich von ihrer Großmutter in die Wege der Familie Bell einführen zu lassen, oder sich über das seltsam feindselige Verhalten ihrer Tante zu wundern.

Und dann ist da natürlich noch Wyn Evans, der Junge mit den goldenen Augen, an den Emily bald ihr Herz verliert – was natürlich ein Geheimnis bleiben muss, denn vor ihrem siebzehnten Geburtstag darf eine Bell-Hexe sich an keinen Mann verlieren, die Folgen sind … nichtexistent? Die ganze Zeit warte ich drauf, dass ein Kuss zwischen Emily und Wyn die Katastrophe heraufbeschwört, aber Fehlanzeige. Und ich gebe zu, dass die Tatsache, dass Wyn nahezu den gleichen Namen hat wie der walisische Operntenor Wynne Evans dazu geführt hat, dass er vor meinem inneren Auge dann auch ausgesehen hat wie der: Nicht so groß, eher dick und mittelalt, was jetzt nicht die beste Grundlage für eine heiße Romanze ist.

Grundsätzlich muss ich aber sagen, auch wenn der eigentliche Star des Buches die Stadt Savannah ist, dass mir die Figuren in dem Buch gefallen haben. Emily selbst bleibt zwar erstaunlich blass, dafür, dass sie die Hauptfigur ist – ich habe dieses Jahr zu viele Bücher mit austauschbaren siebzehnjährigen Heroinen gelesen, und Emily reiht sich da nahtlos ein – aber die anderen Charaktere, wie ihre Freundin Lydia oder die für eine Großmutter doch sehr untypische Catherine, waren da deutlich interessanter. Vor allem Catherine – von der ich im Laufe des Buches verstanden habe, dass sie nicht nur einen junggebliebenen Eindruck macht, sondern offenbar wirklich erst um die fünfzig sein kann. Was mich hat heftig schlucken lassen. Ich weiß, dass ich mit meinen neunundvierzig Jahren nicht mehr die Zielgruppe dieser Bücher bin, aber dass man mir als gleichaltrige Identifikationsfigur dann die Oma anbietet, das ist neu für mich.

Selbst Emilys in den Neunzigern geborene Tante könnte mein Kind sein. Und dann ist es auch nicht so ungewöhnlich, dass Catherine Haar noch voll und rot ist. Mit fünfzig ist man vielleicht teilweise ergraut, aber doch noch lang nicht weiß und schütter, und was die rote Farbe angeht: Da gibt es immer noch Henna. Was aber nicht der Grund dafür ist, dass sich auch Emilys Haare, je näher es auf ihren Geburtstag zugeht, nach und nach rot färben. Schließlich ist sie eine Hexe, und Hexen haben traditionell rote Haare …Und das ist dann etwas, das mich an diesen ganzen Hexenbüchern stört: Sie stellen es so dar, als wären die Frauen, die im sechzehnten Jahrhundert in großem Stile verfolgt und ermordet worden sind, tatsächlich Hexen gewesen, Hüterinnen alter Weisheiten, und eben nicht nur für ihr Geschlecht, Vorurteile, Neid, Missgunst und Machtgier gestorben.

So aber sind die Bell-Frauen, zumindest immer in jeder zweiten Generation, schon immer Hexen gewesen, gehören über ihre aus England ausgewanderte Vorfahrin – ebenfalls Emma Catherine Bell – zu den Gründern von Savannah und sind seitdem dort Säulen der Gesellschaft. Nicht die einzigen Hexen der Stadt – Savannah muss über lange Zeit ein echter Südstaaten-Hexenhotspot gewesen sein – aber die letzten, die heute noch aktiv sind. Mit Emily soll sich das ändern, sie soll die schlafenden Hexenschwestern wieder erwecken – wenn sie nicht stattdessen die Stadt in Schutt und Asche legt.

Das Savannah von The Bell Witches ist eine bezaubernde Stadt, die man gerne mal besuchen möchte. Rassismus scheint kein Thema zu sein, wird auch, was die historischen Aspekte angeht, kaum jemals angerissen – dafür gibt es schöne Häuser, allen voran den Stammsitz der Familie Bell, Bäume, die sich unter Louisianamoos biegen, alte Friedhöfe, Geister – und Werwölfe. Mit denen ich jetzt erstmal eher nicht gerechnet hätte in Georgia, das Klima scheint wenig wolffreundlich, aber auch Werwölfe sind gerade in, und wenn man die mit Vampiren kombinieren kann, warum also nicht mit Hexen?

Das Buch liest sich gut, macht Spaß, man darf es nur nicht zu ernst nehmen. Dass Emily mit knapp siebzehn bereit ist, für die Liebe ihres Lebens alles hinzuwerfen, lässt einen mit knapp fünfzig doch eher schmunzeln. Dass der Plot an vielen Stellen vorhersehbar und absolut durchsichtig ist, stört den Lesespaß nur unwesentlich – es ist ein nettes Buch für zwischendurch und will auch gar nicht mehr sein als das, will nicht aufrühren oder aufrütteln, sondern ist zufrieden damit, vor sich hin zu plätschern mit einem mehr als gemütlichem Erzähltempo.

Viel passiert nämlich nicht über weite Teile des Buches, das sich über einen ziemlich kurzen Zeitraum erstreckt, wir begleiten Emily durch jede Kleinigkeit ihres neuen Alltags, decken nebenbei dunkle Familiengeheminsse auf, die wirklich niemanden mehr überraschen, bis dann ein dramatisches Finale über uns hereinbricht mit der Wucht eines Südstaatengewitters, sich plötzlich die Ereignisse überschlagen, und dann ist auch schon wieder alles gut. Oder eben so gut, wie der Auftakt einer Trilogie enden kann, denn natürlich steht dann immer noch die Prophezeiung im Raum, und es sind genug Plothooks übrig, um auszureichen für zwei Fortsetzungen. Die ich sogar lesen würde, wenn auch in der Hoffnung, dass sie nicht ganz so viele Szenen darauf verschwenden würden, dass Emily mit Freunden oder Verwandten essen geht, mit Lydia Kleider anprobiert, oder mit Wyn Sightseeing betreibt.

Gibt es dann jetzt eine Leseempfehlung? Warum nicht. The Bell Witches ist ein typischer Fall von »Kann man lesen, muss man aber nicht« – ein nettes Buch, ein Zeitvertreib, ein Reiseführer für das magische Savannah – aber wenn ich es nicht gelesen hätte, würde mir auch nichts fehlen. Es hat mich weder bewegt noch berührt, nur mir nett die Zeit vertrieben, und während ich an und für sich gegen einen netten Zeitvertreib nichts einzuwenden habe, bevorzuge ich doch Bücher mit mehr als einer Dimension, über die ich hinterher mehr sagen kann, als nur die Handlung nachzuerzählen. So fühlt sich das Buch am Ende doch ziemlich belanglos an. Aber manchmal muss es auch das geben.

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert