Mara Purnhagen: Past Midnight

Geister und Feen, Geister und Feen … Ich höre mich ja schon an wie eine kaputte Schallplatte. Aber nachdem ich den Vampirtrend geflissentlich ignoriert habe und um den eher verhalten verschallten Engeltrend einen frustrierten Bogen gemacht habe, tut mir der Buchmarkt jetzt den Gefallen und bringt ein Buch nach dem anderen zu meinen aktuellen Lieblingsthemen raus. Während ich jetzt für ein neues Feenbuch sogar ein Rezensionsexemplar angefordert habe, gibt es jetzt erst mal wieder Geister. Nicht in Form von mundgerechten Gruselgeschichten, und auch nicht als Horrorroman mit zerschlitzten Teenagern wie in Anna Dressed in Blood, sondern mit richtigen Geistern, die sich noch nicht mal gerne fotographieren lassen, geschweige denn gleich eine Liebesaffäre mit dem Protagonisten anfangen müssen. Weswegen ich mich bei diesem Buch ungefähr hundertmal mehr gegruselt habe als bei letztgenanntem.

Ich wüsste gerne, was der Arbeitstitel der Autorin war für das Buch, das heute Past Midnight heißt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie es selbst so genannt haben soll – schließlich spielt die Mitternacht überhaupt keine Rolle darin, die Geister schauen nicht auf die Uhr und treten tags- wie nachtsüber auf, aber natürlich ködert man mit ‘Nach Mitternacht’ mehr Leser als mit ‘Spuk rund um die Uhr’. Weswegen ich vermute, dass es sich um eine Verlagsentscheidung handelt. Das Buch selbst ist ein relativ billig aufgemachtes Taschenbuch ohne großes Werbeetat und in Deutschland noch völlig unbekannt, auch wenn in Amerika schon drei Bände plus zwei kurze E-Books zu dieser Reihe herausgekommen sind. Ich vermutete also einen nicht besonders gut geratenen Schnellschuss, und dachte, bei dem kleinen Preis kann man nicht viel falsch machen, aber ich wurde positiv überrascht.

Charlotte Silver ist ein Teenager mit einem eher ungewöhnlichen Leben. Die Eltern sind Geisterjäger, bekannt aus Film und Fernsehen, aber keine esoterischen Medien, sondern von der skeptischen Sorte, die sich eine Lebensaufgabe daraus gemacht haben, Geister zu widerlegen. Vermeintliche Spukphänomene werden als Restenergien erklärt, die dort zurückbleiben, wo sich Dinge ereignet haben, große Ereignisse abgespielt oder wiederkehrende Ereignisse stattgefunden haben – also eher der Geist eines Schaukelstuhls denn der Geist des Großvaters, wenn man es so nennen will. Inwieweit diese ‘residual energy’ jetzt wissenschaftlich irgendwie fundierter ist als Geister und Gespenster – Schwamm drüber. Es ist nett, es mal nicht mit dem schwertschwingenden Dämonenschlächter zu tun zu haben, sondern mit ziemlich bodenständigen Leuten, die ihr Equipment auspacken und sich freuen, hinterher statisches Rauschen im Bild zu haben.

Aber Charlotte ist das Vagabundenleben leid, die ewigen Reisen von Spukhaus zu Spukhaus, und will sesshaft werden. Ein Kaff in North Carolina, nahe bei Charleston, wo die große Schwester ein Studium beginnt und die Eltern gerade die gesammelten Geistergeschichten zusammengetragen haben, kommt nett, unschuldig und passend daher, und schon findet Charlotte in der Cheerleaderin Avery eine Nachbarin und Freundin. Aber auch wenn das neue Haus gänzlich unbespukt ist, hat Charlotte doch ein paar Geister in ihren Umzugskästen mitgebracht, und im beschaulichen Lincoln selbst ist nicht alles so, wie es scheint. Welches Geheimnis verbirgt Avery, und was treibt den düsteren Jared um? Und so pendelt das Buch beständig zwischen Coming-of-Age-Story, Highschoolmusical und Gruseldrama, wobei letzteres zugegeben weniger spannend ist als die Leiden des unverstandenen Mädchens, das so gern normal wäre.

Dramaturgisch weist das Buch dicke Mängel auf. So ist die Geistergeschichte selbst relativ dünn und durchsichtig, so nett es auch sein mag, wenn Charlotte in die Vergangenheit reist und dort eine seltsame Verbindung aufbaut zu einem Mädchen, mit dem sie unerklärlich verbunden ist – und unerklärlich heißt wirklich unerklärlich, denn außer dass es für die Handlung benötigt wird, ergibt es wenig Sinn, warum ausgerechnet Charlotte, nur weil sie im entscheidenden Moment ein rosa Sweatshirt trägt, von den Geistern der Eltern beauftragt wird, die verlorene Tochter zu finden. Und ebenso wenig Sinn macht es, dass sich diese Geister nach hundert Jahren Untätigkeit, während derer bestimmt viele Mädchen in Rosa vorbeigekommen sind, ausgerechnet an Charlotte hängen, ihr gewohntes Domizil verlassen, um stattdessen ein Mädchenzimmer zu bespuken.

Und auch dass sie gegen Ende anfangen, das ganze Haus zu verwüsten und angeblich keine Zeit mehr ist, wenn nicht ein ganz bestimmtes Ritual vollzogen wird – das ist letztlich alles ziemlicher Käse, die Action- und Krawalleinlagen gegen Ende unsinnig und überflüssig, als hätte eine wohlmeinende Lektorin die Autorin genötigt, beim Überarbeiten noch ein bisschen Bewegung in die Sache zu bringen, was völlig überhastet und unnötig daherkommt. Natürlich, dieses Buch ist paranormale Urban Fantasy, und da müssen dann auch paranormale Elemente rein, aber sie machen eindeutig den schwächeren Teil des Buches aus. Natürlich ist es nett, wenn ein Mädchen, dem von frühester Kindheit eingebläut worden ist, dass Geister nur Energieschatten sind und das dementsprechend nicht an sie glaubt, lernen muss, dass die Geister aber sehr wohl an sie glauben – aber hier hätte ein besserer Gruselplot Not getan. Man merkt, dass die Autorin ihre Hausaufgaben gemacht hat und alles gut recherchiert – aber warum konnte ihr dann keine bessere Spukgeschichte einfallen?

Der Teeniekram hingegen, der erfreulich unromantisch daherkommt, gefällt ausgesprochen gut. Hier sind auch die kleineren Details gut durchdacht, und dass Nachbarin Avery, die zuerst wie eine Teenagervariante der Frauen von Stepford daherkommt, durchaus Tiefgang besitzt, dass Charlotte lieber der Geek hinter der Kamera ist, als sich ins Rampenlicht zu drängen, was die Schnepfe von den Schulnachrichten nicht glauben mag, und dass der düstere Jared eben nicht am Ende der Held an Charlottes Seite ist, sondern doch eher der Mit-Geek Noah, macht Spaß. Natürlich, das Ende ist total verkitscht, und wenn in einer Pizzeria händchenhaltend der verstorbene Verlobte beschworen wird, erinnert das mehr an die Nudelszene aus Susie und Strolch denn an Romeo und Julia, aber die klassischen Themen Geheimnis, Schuld und Vergebung ziehen sich im Großen wie Kleinen als roter Faden durch das Buch.

Past Midnight ist nett geschrieben, auch wenn die Autorin nicht den allererfahrensten Eindruck macht – dafür sind zu viele Anfängerfehler im Plot – und wenn es auch kein so großer Wurf ist, dass wir mit einer deutschen Übersetzung rechnen müssten oder uns eine herbeisehnen, macht es doch genug Spaß, dass ich auch die Fortsetzungen haben möchte. Ein handliches Buch, schnell gelesen, das ich gern weiterempfehle an Freunde des Übernatürlichen, denen Anna Dressed in Blood zu viele Splatterelemente enthielt. Sicherlich das bessere Buch, das mich an den Anime Ghost Hunt erinnert und von mir gerne als Geheimtipp weiterempfohlen wird.

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