bookmark_borderA.A. Milne: Four Days Wonder

Schubladen sind für Verlage etwas Tolles, und für Autoren etwas Schreckliches. Hat ein Autor mit einem Werk großen oder gar sehr großen Erfolg, wird man ihn kaum noch etwas anderes schreiben lassen. J.K. Rowling zum Beispiel wird man keine naturalistischen Krimis mehr abkaufen und keine historischen Romane, die in der inneren Mongolei spielen und in denen kein bisschen Zauberei vorkommt. Unter einem Pseudonym, vielleicht – aber selbst dann kann sich der Verlag querstellen, denn er weiß nicht, ob er diese Bücher dann verkaufen kann, und überhaupt soll sie keine Zeit mit Experimenten verschwenden, sondern den neuen Harry Potter ranliefern! Wir wissen noch nicht, wie J.K. Rowling auf die Dauer damit umgehen wird. Aber im hier vorliegenden Fall, dem unvergleichlich köstlichen Werk Four Days Wonder, sind sie am Ende alle gescheitert: Der Verlag, der Autor, und das Buch.

Der Autor war kein Unbekannter, ganz im Gegenteil: Alle Welt liebte Alan Alexander Milne als den Verfasser der beiden Bücher um die Abenteuer des Jungen Christopher Robin und seinen Bären Winnie-the-Pooh, sowie zweier Bücher mit Kinderversen. Dass er außerdem verschiedene Romane geschrieben hatte, darunter einen ehemals sehr erfolgreichen Krimi, interessierte Anfang der Dreißiger Jahre niemanden mehr. Pooh war der Hit. Wir wollen mehr Pooh. Aber einer wollte nicht: Der Autor. 70.000 Wörter Kinderbuch waren ihm genug. Christopher Robin, der Sohn, war groß geworden, spielte nicht mehr mit Teddys und wollte nicht mehr mit Versen unterhalten werden, und A.A. Milne wollte wieder schreiben, wonach ihm der Kopf stand, so wie er es schon immer gewollt hatte.… Weiterlesen “A.A. Milne: Four Days Wonder”

bookmark_borderTove Jansson: Komet im Mumintal

Es war Anfang 1998, und ich hatte ein wichtiges Vorstellungsgespräch. An diesem Tag sollte sich entscheiden, ob Frau K. mich als Auszubildende in ihrer Buchhandelsfiliale haben wollte. Ich wollte diese Stelle, unbedingt, und ich war ebenso entschlossen wie aufgeregt, aber bereit, letzteres gut zu vertuschen. Ich war kompetent. Ich war vorgebildet. Dieser Laden, und kein anderer, sollte aus mir genau die richtige Mischung aus Literatur- und Fachbuchhändlerin machen. Routiniert berichtete ich von meinen Verkaufserfahrungen als Teddybärenmacherin auf Kunsthandwerkermärkten und Börsen. Und warum es mich trotz Bibliothekarsdiplom nun doch lieber in den verbreitenden Buchhandel zog. Und so weiter. Bis an einem Punkt des Gesprächs Frau K. mich abrupt fragte: »Sagen Sie – kennen Sie die Mumins?«

Es ist nicht die Frage, die man von einer Fachbuchhändlerin erwartet, und ebenso unvorbereitet wie spontan verwandelte ich mich vom Kompetenzmonster in einen Menschen und antwortete: »Die Mumins? Ich liebe sie, ich bin mit denen aufgewachsen!«
Hätte ich an der Stelle die Stirn gerunzelt und gesagt ‘Ja, früher habe ich die ganz gern gelesen’ oder die Nase gerümpft und gesagt ‘Kinderbücher…’, dann wäre an dieser Stelle wohl alles vorbei gewesen. Es musste ein Test sein, aber das begriff ich erst viele Jahre später, lange nachdem ich meine Ausbildung erfolgreich abgeschlossen hatte.
»Wer ist Ihre Lieblingsfigur?« fragte Frau K. weiter.
Wieder antwortete ich ohne Zögern: »Der Mumrik«, und setzte erklärend hinterher: »Oder auch Schnupferich.«
Frau K. lächelte. Vielleicht grinste sie auch. »Wissen Sie«, sagte sie dann, »ich mag die kleine Mü am liebsten.«
Und danach, für die Zeit meiner Ausbildung und darüber hinaus, wussten wir beide genau, woran wir beim anderen jeweils waren.… Weiterlesen “Tove Jansson: Komet im Mumintal”

bookmark_borderCarolyne Keene: Die verborgene Treppe

Wenn Bücher aus einer anderen Sprache übersetzt werden, setzen sie manchmal so weit über, dass sie dabei glatt über den Jordan gehen. Bei dem vorliegenden Buch ist dies der Fall – so etwas passiert nur allzu leicht, wenn (meistens nicht durch den Übersetzer selbst, sondern per Verlagsbeschluss) versucht wird, eine Geschichte ans neue Zielpublikum anzupassen. Und so war Nancy Drew, Kultfigur der amerikanischen Jugendbuchszene, dazu verdammt, eine deutsche Austauschstudentin mit Namen Susanne Langen zu werden.

Erst einmal bin ich ja selbst darauf hereingefallen, aber ich war auch erst zehn Jahre alt, als ich mir dieses Buch auf dem Pfarrfestflohmarkt kaufte, und ich war noch unschuldig und ahnte nicht, welche Freiheiten sich Verlage herauszunehmen bereit waren. Ich war nur erstaunt: Eine amerikanische Autorin – Carolyn Keene war ein Name, den ich schon mit zehn als eindeutig amerikanisch identifizierte: Anders als bei Berte Bratt verzichtete man hier darauf, neben der Hauptfigur gleich auch noch die Autorin umzunennen – schreibt Bücher über eine deutsche Heldin? Und die Amerikaner wollen so etwas lesen? Ja, das fiel mir auf, schon mit zehn Jahren, aber ich zog keine Schlüsse daraus – wie sollte ich auch? Stattdessen las ich mich durch ein gutes Halbdutzend Susanne-Langen-Abenteuer, wunderte mich zunehmend, dass ihr Austauschjahr nie vorüberging und sie auf alle Ewigkeit bei ihrem Onkel Peter (im Original: Nancys Vater, Carson Drew) wohnte und sie wohl gar keine Anstalten machte, jemals wieder in die Heimat zurückzukehren. Was mir auch auffiel war, wie langweilig diese Bücher doch eigentlich waren, verglichen mit den Abenteuern der Drei Fragezeichen.… Weiterlesen “Carolyne Keene: Die verborgene Treppe”

bookmark_borderGaye Knowles: Auf geheimnisvoller Spur

Ich hatte schon als Kind Probleme, an einem Bücherstand vorbeizugehen – die Kombination aus Buch und Flohmarkt war unwiderstehlich: Da gab es nicht nur Schnäppchen – da gab es vor allem einmalige Chancen, ein Buch zu bekommen, das es vielleicht gar nicht mehr gab! Und so hörte ich mit gut neun Jahren auf, mir von meinem Taschengeld Eis zu kaufen, und wandelte es lieber in Bücher um. Früher hätte es auch wenig Sinn gemacht, aber mit neun Jahren bekam ich 1,25 DM pro Woche, und das entsprach etwa einem Flohmarktbuch. Oder, wenn ich das Geld sparte, konnte ich mir einmal im Monat ein neues Taschenbuch kaufen – was ich eher selten tat, gemessen daran, dass ein neues Buch so viel kostete wie fünf vom Flohmarkt.

Und so kamen einige seltene und einige seltsame Schätze zusammen, Kinderbücher aus verschiedenen Jahrzehnten, die heute gesuchte Sammelstücke sein könnten – wenn es sich nicht bei einem Großteil von ihnen um aussortierte Exemplare aus der Pfarrbücherei handelte. So viele Flohmärkte gab es bei uns auf dem Dorf nämlich nicht. Trotzdem, ich habe diese Bücher alle noch und bin doch sehr zufrieden mit meinem neunjährigen Geschmack. Wenn ich krank werde und mit Fieber im Bett liege, mache ich mich bevorzugt über meine alten Kinderbücher her – Bücher, die ich schon oft oder zumindest mehrmals gelesen habe, die keine großen und anstrengenden Überraschungen mehr bieten und dafür anständige Unterhaltung liefern. Vor allem jetzt, wo mich die Grippe gepackt hat und wir keinen Fernseher mehr haben. Hätte ich sonst den ganzen Tag lang Talk- und Gerichtsshows geglotzt, lese ich mich nun also querbeet durch meine Kindheit und lande so bei Büchern, die ich schon jahrelang nicht mehr von innen gesehen habe, so auch bei dem vorgeblichen Blyton-Verschnitt Auf geheimnisvoller Spur

Tatsächlich ähnelt dieses Buch in vielerlei Hinsicht einem Erguss der legendären britischen Vielschreiberin – schon der Originaltitel The Islanders follow a clue zeigt, dass es sich ursprünglich um einen Reihentitel handelt.… Weiterlesen “Gaye Knowles: Auf geheimnisvoller Spur”

bookmark_borderDorothy Canfield Fisher: Das allerbeste Apfelmus

Da steht ein kleines Mädchen in einem buntbedruckten Baumwollkleid mitten in einem Kornfeld, eine Weizengarbe in Händen, und blickt irgendwie orientierungslos nach links aus dem Bild hinaus, auf jedenfall nicht dorthin, wo in schlecht kontrastierten roten Buchstaben der Titel des Buches steht… Wirklich, mit diesem Cover hätte ich das Buch noch nicht mal in der Bücherei angefaßt! Selten, von meiner Ausgabe von Daddy Langbein einmal abgesehen, hatte ich es hier mit einer derart verunglückten Buchgestaltung zu tun. Denn Betsy, die junge Heldin aus Das allerbeste Apfelmus, lebt lange vor bedruckten Baumwollkleidern und setzt auch das ganze Buch über keinen Fuß in ein Kornfeld – was weder ihr, noch der Geschichte abträglich ist.

Dass ich dieses Buch zu meinen allerliebsten Kinderbüchern zähle, verdankt es der Tatsache, dass das Exemplar in unserer Schülerbücherei deutlich ansprechender aussah. Daher wurde es auch viel gelesen – von mir nämlich. Einmal pro Schuljahr lieh ich es mir aus, und auf der Leihkarte konnte man schön beobachten, wie sich meine Handschrift vom sechsten bis zum zehnten Schuljahr veränderte – bis ich dann irgendwann nicht mehr zur Schule ging, sondern eine Buchhandelsausbildung machte, und auf die Idee kam, mir dieses Kleinod endlich selbst zuzulegen. Der Großhandelskatalog zeigte, zumindest damals, keine Cover. Denn, ganz ehrlich, wenn ich gewusst hätte, was mich erwartet – ich hätte mich lieber auf die Suche nach einem antiquarischem Exemplar gemacht. Oder noch besser dem englischen Original. Doch es war in dem Jahr, bevor ich mir das Internet nutzbar machte, und das heißt: Ich wusste es noch nicht besser.… Weiterlesen “Dorothy Canfield Fisher: Das allerbeste Apfelmus”

bookmark_borderGunilla Banks: Fräulein Lindbloms Klasse 2E

Unsere Pfarrbücherei, in die ich sehr oft ging, bevor ich Fahrschülerin wurde und mir mit meiner Monatskarte die große Stadtbücherei näher rückte, hatte sicher mehr als ein Dutzend Bücher, aber es ergab sich, dass ich mir irgendwie immer wieder die gleichen auslieh, mit schöner Regelmäßigkeit einmal pro Jahr. Am besten von allen gefiel mir Fräulein Lindbloms Klasse 2E – ein Kinderbuch, dessen Titel die gereimte Assoziation mit Fräulein Smillas Gespür für Schnee völlig unverdient weckt. Lange Jahre, nachdem ich der Pfarrbücherei entwachsen war, habe ich es mir dann endlich selbst gekauft und es nun, wiederum zehn Jahre später, noch einmal gelesen. Und es war wieder ein Vergnügen, aber diesmal mit einem anderen Hintergrund:

Ich wurde 1981 eingeschult, mitten im Ruhrgebiet, in Castrop-Rauxel-Ickern, Marktschule, und folglich war ich 1982 im zweiten Schuljahr, Klasse 2C bei Frau H.. Fräulein Lindblom ist 1978 erschienen – vier Jahre machen nicht viel aus, und somit sind dieses Buch und ich quasi Zeitgenossen. Jede Seite ließ mich Parallelen ziehen – war das bei uns damals auch so? Und war Frau H. nicht eine tolle Lehrerin? Und hatte ich in Ickern nicht die beiden besten Grundschuljahre, die sich ein Kind nur wünschen kann? Schwärmerei über Schwärmerei, bei der jedoch eines mehr und mehr offensichtlich wurde: Egal was auf dem Cover stehen mag, Fräulein Lindbloms Klasse 2E ist nicht »Die witzigste Schulgeschichte der Welt«. Und egal was im Klappentext steht, solch eine Lehrerin wünsche ich eigentlich niemandem.

Die Lehrerin, Fräulein Lindblom, ist ohne jeden Zweifel eine ganz liebe. Aber sie kann nicht mit Kindern umgehen.… Weiterlesen “Gunilla Banks: Fräulein Lindbloms Klasse 2E”

bookmark_borderGarth Stein: Seelendiebe

Wie oft habe ich mich schon über ein eigentlich spannendes Schauerbuch geärgert, nur weil die unerklärlichen Phänomene dann auf einen alten Indianerfriedhof zurückzuführen waren? Angefangen mit Friedhof der Kuscheltiere, was ich mit dreizehn Jahren lesen musste, um die Freundschaft einer Mitschülerin zu gewinnen (und sie war es ebenso wenig wert wie das dazugehörige Buch), habe ich da eine Aversion entwickelt. Keine Indianerbücher mehr für mich. Bis ich jetzt plötzlich ein solches Buch in Händen halte, über vierhundert Seiten dick und doch gelesen binnen eines Tages. Und alles nur wegen eines Covers, das nicht einmal wirklich gut zum Inhalt passt, und wegen eines Titels, der dem englischen Original nicht das Wasser reichen kann.

Raven stole the Moon heißt dieses Buch im Original – ein sehr schöner Titel, und vermutlich hätte er mich doch weniger angesprochen als Seelendiebe. Dazu ein Cover, bei dem sich ein paar gespiegelte Flügel über ein undefiniertes beiges Gewässer beziehungsweise Vorder- und Rückseite spannen – Christoph zumindest lachte sehr, als er das Buch sah, und meinte, er wisse genau, warum ich mir das ausgeliehen hätte: Erinnert es doch irgendwie sehr an das Cover meines ersten selbstverlegten Buches, Engelsschatten, und der Titel passt auch noch in die Richtung. Dabei sind die Flügel wirklich irreführend. Zwar geht es auch ein wenig um Rabe, Totem der Tlingit-First Nation, aber die eigentlichen Stars dieses Buches sind die Otter. Was sich wieder gut trifft, denn ich mag Otter sehr. Und noch besser ist, dass die Tlingit ihre Toten verbrennen: Darum haben sie auch keine Indianerfriedhöfe.… Weiterlesen “Garth Stein: Seelendiebe”