bookmark_borderMargery Allingham: Gefährliches Landleben

Da muss ich jetzt eigentlich von Christoph erzählen. Der ist in München, was nicht wirklich zum Wort Landleben im Titel passt, aber er ist nun einmal da, für ein halbes Jahr, und macht ein Praktikum. Er hat ein kleines möbliertes Zimmer in einer WG, wo gerade das Nötigste reinpasst, und mehr als das Nötigste hat er auch gar nicht mitgenommen. Seine Bücher zum Beispiel hat er zuhause gelassen. Aber wofür ist seine Freundin ein Buchmensch? Und so ist es nun an mir, ihn mit Lesefutter zu versorgen. Am Wochenende bin ich hingefahren, und er bat mich also, ihm etwas zu lesen mitzubringen. Irgendwelche Krimis.

Nun könnte ich das machen wie in der Reklame und sagen »Irgendwelche Krimis habe ich nicht« – aber das stimmt nicht, natürlich habe ich auch irgendwelche Krimis, noch aus den Zeiten, als ich mich blind durch alle Antiquariate und Wühlkisten Kölns gekauft habe, um mit steigenden Bücherzahlen gegen sinkende Leselust anzukämpfen. Da ist viel, viel Schrott dabei, und vieles davon habe ich nie gelesen. Aber wenn es darum geht, meinem Freund im fernen München einen angenehmen Leseabend zu bereiten, muss etwas Gutes her. Etwas wirklich Gutes. Und so griff ich kurzentschlossen und zielsicher ins Regal und holte meine ersten vier Bücher von Margery Allingham heraus – Gefährliches Landleben, Hüter des Kelches, Polizei am Grab und Süße Gefahr.

Köstliche Krimis, die ich zur Zeit meines Abiturs gelesen und später während des Studiums sukzessive zusammengekauft habe (überwiegend antiquarisch, denn die guten schwarz-gelben Diogeneskrimis waren damals doch schon recht teuer).… Weiterlesen “Margery Allingham: Gefährliches Landleben”

bookmark_borderJacqueline Wilson: Charlies Doppelleben

Bei Computerspielen für Kinder ist der Begriff Edutainment – die Kombination aus Unterhaltung und der Vermittlung von Wissen – in aller Munde, das Konzept bewährt und anerkannt. Was liegt näher, als auch den Buchmarkt mit solchen Amalgame zu beglücken? Und was liegt näher, als dass dieser Versuch gründlich in die Hose gehen wird?

Betrachtet man Charlies Doppelleben als ein solches Experiment, muss man sagen: Guter Versuch, aber am Ziel vorbei. Es ist offenbar schwierig, ein pädagogisch wertvolles Buch zu einem guten Buch für Kinder und Erwachsene zu machen: Entweder entdecken die Erwachsenen inhaltliche Mängel, oder die Kinder finden das Ergebnis langweilig. Muss wohl zumindest Jaqueline Wilson gedacht haben, und verknüpfte ihre akribisch recherchierte Geschichte eines minderjährigen Dienstmädchens der Viktorianischen Ära mit einer zeitgenössischen Rahmenhandlung. Sie hätte nicht versuchen dürfen, es allen Seiten recht zu machen. Denn das Ergebnis – unterhaltsam auf der einen Seite, informativ auf der anderen – ist eines nicht geworden: Ein gutes Buch.

Wir haben es in dieser Geschichte mit einem Doppelten Lottchen zu tun. Leider war das als Buchtitel schon vergeben, weswegen die Übersetzerin oder der Oetinger-Verlag auf das eher unglückliche Charlies Doppelleben zurückgegriffen haben. Der englische Originaltitel The Lottie Project trifft es da deutlich besser: Denn Lottie ist nicht Charlies geheimes Alias, sondern eine von ihr erfundene Viktorianerin für eine Geschichts-Projektarbeit.

Die »echte« Charlotte lebt im England Ende der neunziger Jahre. Sie gerät mit ihrer Geschichtslehrerin aneinander und mit dem Klassenstreber Jamie, findet ihre Freundinnen manchmal zu seicht und hat es mit ihrer alleinerziehenden, aber durchaus patenten Mutter eigentlich ganz gut getroffen.… Weiterlesen “Jacqueline Wilson: Charlies Doppelleben”

bookmark_borderRoald Dahl: Charlie und die Schokoladenfabrik

Zu Roald Dahl habe ich ein leicht gespaltenes Verhältnis. Als Kind konnte ich relativ wenig mit ihm anfangen und entdeckte ihn später als brillanten Zyniker mit Küsschen Küsschen. Ich halte ihn für einen guten, sogar einen herausragenden Autoren, aber ich glaube, es gibt bessere. Sein Sarkasmus wirkt manchmal aufgesetzt und sein Humor ist nicht immer der meine – ich mag es böse, aber nicht grausam; ich mag Nonsens, aber keine Albernheit. Nach der Verfilmung von Hexen Hexen beendete ich unsere Beziehung bis auf weiteres, um ihn Jahre später durch eine andere Verfilmung wiederzuentdecken: Charlie und die Schokoladenfabrik.

Ich bin mir sicher, dass ich dieses Buch schon Anfang der Neunziger einmal gelesen habe, aber es kann mich nicht wirklich vom Hocker gerissen haben, sonst wäre es mir besser im Gedächtnis geblieben. Der Film dagegen – der neue Film, mit Johnny Depp als Willy Wonka – begeisterte mich von vorn bis hinten: Brillante Story, Schauspieler, Regie, Einfälle… Und ich beschloss, das Buch noch einmal zu lesen. Am besten im englischen Original, aber ich nehme, was ich bekomme, und da die Bücherei es nur auf Deutsch hatte, so ist das immer noch besser als gar nichts. Ich las es also wieder nur auf Deutsch, und vielleicht ist das der Grund, warum ich jetzt sagen muss: Dies ist einer der seltenen Fälle, wo der Film besser ist als das Buch. Und zwar deutlich.

Die Geschichte ist simpel: Der bettelarme Charlie bekommt durch Glück die Gelegenheit, Willy Wonkas sagenumwobene Schokoladenfabrik zu besichtigen, gemeinsam mit vier weiteren Kindern, allesamt ebenso verzogen wie unerträglich, jedes von ihnen eine wandelnde Todsünde: Augustus Gloop (Völlerei), Verucca Salt (Habgier), Violet Beauregarde (Hochmut) und Mike Teevee (Trägheit), während der herzensgute Charlie alle acht Kardinalstugenden in sich vereint.… Weiterlesen “Roald Dahl: Charlie und die Schokoladenfabrik”

bookmark_borderJean Webster: Daddy Langbein

Kein Buch aus der Bücherei, und keines, das ich zum ersten Mal lese – nein, es ist mein eigenes, und es ist mindestens das dritte Mal und ganz sicher nicht das letzte. Beim ersten Mal war ich fünfzehn und das Buch aus der Bücherei. Beim zweiten Mal war ich zwanzig und hatte das Buch passenderweise auf dem Flohmarkt der Heilsarmee erstanden. Und jetzt hatte ich einfach wieder Lust darauf. Es ist ein tolles Buch. Ich brauchte ein tolles Buch. Das Gemini-Projekt hatte zuviel von meiner positiven Leseenergie aufgebraucht. Da mußte etwas Bewährtes her. Und als ich im Internet durch Zufall auf die Anime-Verfilmung von Daddy Longlegs stieß, bekam ist plötzlich wieder Lust, dieses Buch zu lesen. Und fand mich wenige Minuten später im Wohnzimmer wieder, die Beine hochgelegt, eine Decke über den Knien und diese Blüte der amerikanischen Mädchenliteratur in Händen. Und las, und las, und genoß wie damals und damals.

Dem Genre »Mädchenbuch« haftet irgendwie etwas Negatives an, als ob kein männliches Wesen jemals an einem dieser Bücher Gefallen finden könnte, es impliziert etwas Abgedroschenes, Schmonzettiges – als wäre es nur ein kleiner Schritt vom Mädchenbuch hin zu Rosamunde Pilcher und dem Echo der Frau. Ich verwende den Betriff jedoch weder ab- noch aufwertend für eine Untergruppe des Adoleszenzromans, in dem sich junge Frauen ihren Platz in der Gesellschaft schaffen. Und der ist nicht immer da, wo die zeitgenössischen Konventionen ihn gerne gesehen hätten. Vor allem in diesem Buch.

1912 erschienen, fällt Daddy Long-Legs in die gleiche Epoche wie Anne of Green Gables-Reihe, deren erster Band 1908 erschien.… Weiterlesen “Jean Webster: Daddy Langbein”

bookmark_borderAnthony Horowitz: Das Gemini-Projekt

Den Luxus, ein wirklich schlechtes Buch zu lesen, hatte ich lange nicht mehr, aber diesem hier gebührt die Ehre. An so schlechte Bücher kommt man nur über die Bücherei – ich hätte es mir nie gekauft, und auch keiner meiner Freunde. Aber wenn es mir in der Bücherei in die Finger fällt, dann kann ich es mir unbesorgt ausleihen, ich muss es ohnehin zurückgeben, qualitätsunabhängig. Das Einzige, worüber man sich hinterher vielleicht ärgern muss, ist verschwendete Zeit. Das Gemini-Projekt ist da so auf der Grenze – zwischen »So schlecht, dass man es nicht lesen mag« und »So schlecht, dass es fast schon wieder Spaß macht«. Die Lektüre ist über weite Teile Quälerei, inhaltlich zum einen sowieso, sprachlich durch die Übersetzung unterster Kajüte noch dazu. Aber für Leute, die nur glücklich sind, wenn sie sich über etwas aufregen können, ist dieses Buch sicher etwas, vor allem für die Fünfzehnjährigen dieser Gruppe, die noch zu jung sind für die Bücher von Anne Rice.

Der Anfang des Buches ist bezeichnend für den vorherrschenden Mangel an Logik. Der schwerreiche EDV-Mensch verlässt die gepanzerte Limousine, schreitet durch die kameraüberwachte Lobby, ruft per Fingerabdruck den Hochsicherheitsaufzug und lässt sich so hermetisch abgesichert in seine Geschäftsräume katapultieren – wo er freundlich die Sekretärin begrüßt. Und der mitdenkende Leser fragt sich: Wie ist sie da hochgekommen? Entweder die Angestellten leben als Sklaven in den oberen Etagen des Wolkenkratzers und dürfen niemals ihre Ebene verlassen – oder es gibt eben doch eine Treppe oder einen zweiten Aufzug für Normalsterbliche. Womit dann der abgeschottete Hochsicherheitsaufzug gar keinen Sinn mehr macht.… Weiterlesen “Anthony Horowitz: Das Gemini-Projekt”

bookmark_borderBarbara Wendelken: Eine Frühstücksfee für Julia

Wenn man wie ich zehn Jahre lang Bücher nur verkauft, aber effektiv nie gelesen hat, sollte man ganz vorsichtig sein, wenn man dann doch mit dem Lesen wiederanfängt. Der Verdurstende, der aus der Wüste kommt, darf auch keine zehn Liter auf einmal trinken. So erschien es mir ganz sinnvoll, mir ein Buch für Leseanfänger vorzunehmen. Meine Kollegen guckten zwar ein bisschen seltsam, als ich ihnen demonstrierte, dass doch noch eine Leserin in mir steckt – wohlgemerkt, ich befand mich zum Zeitpunkt des Lesens als Praktikantin an der Verbuchungstheke einer Stadtbücherei, aber es war nicht viel los, und immer wenn Leser kamen – im Fachjargon: Benutzer – legte ich das Buch brav beiseite und kümmerte mich um Ausleihen und Rücknahmen. Sowas kann man nicht mit jedem Buch machen – aber wenn man über dreißig ist, und das Buch richtet sich an Sechsjährige, sollte das schon gehen.

Und es ging ganz gut. Denn trotz des ziemlich bescheuerten Titels Eine Frühstücksfee für Julia, der zu kitschig und zu niedlich klingt, ist es eine lesenswerte kleine Geschichte, in der überhaupt keine Feen vorkommen. Und – man glaube es oder nicht – ich entdeckte gravierende Parallelen zwischen der kleinen Heldin, Julia, und mir selbst.

Julia wohnt bei ihrer alleinerziehenden Mutter, die als Marktfrau arbeitet – nicht die freundliche Apfelfrau mit Bauernhofanschluss, sondern mit einem Ramschstand: Bei den heutigen Sechsjährigen ist schonungsloser Realismus angebracht, selbst wenn man im Titel noch eine Fee versprochen hat. Natürlich liebt Julia ihre Mutter heiß und innig, aber diese muss morgens viel zu früh los, wenn Julia noch schläft, und das vorbereitete Frühstück ist ungenießbar.… Weiterlesen “Barbara Wendelken: Eine Frühstücksfee für Julia”

bookmark_borderThornton Wilder: The Bridge of San Luis Rey

Das ist das erste Buch, das ich seit sehr langer Zeit lese. Es ist nicht besonders dick, daher schien es mir für den Wiedereinstieg ganz passend. Es ist mir durch Zufall in die Finger gekommen, aber ich hatte schon früher von diesem Buch gehört: In einer Folge der Krimiserie Monk gibt sich der Mörder als Journalist aus und erzählt, er habe einen bedeutenden Preis für eine Reportage bekommen, bei der er nach einem Brückeneinsturz in Peru die Lebensgeschichten der Opfer mit Akribie recherchiert habe. Doch Mr. Monk erkennt darin den Inhalt des Buches Die Brücke von San Luis Rey, durchschaut den Mann als Lügner und infolge dessen natürlich auch als Mörder.

Schon damals – vor ca. zwei Jahren – dachte ich: Interessantes Buch, musst du bei Gelegenheit mal lesen – und verwarf den Gedanken wieder, wie die meisten, die mit Lesen zu tun hatten. Später empfahl mir mein Vater dieses Buch – er hatte es als Schüler als Lektüre im Englischunterricht lesen müssen und war davon angetan, und wenn man das über eine Schullektüre sagen kann, scheint es sich wirklich um ein gelungenes Buch zu halten.
Jedenfalls, als ich es nun in der Bücherei, in der ich zurzeit ein Praktikum mache, in die Finger bekam, habe ich es kurzentschlossen ausgeliehen und mich auch umgehend an die Lektüre gemacht.

The Bridge of San Luis Rey ist ein großartiges Buch, von der Sorte, wie es sie auf der Welt nur einmal geben kann und darf. Der Plot klingt spektakulär: Eine alte Inka-Hängebrücke stürzt ein und reißt fünf Menschen in den Tod.… Weiterlesen “Thornton Wilder: The Bridge of San Luis Rey”