bookmark_borderAndrew S. Chilton: The Goblin’s Puzzle

Über manche Bücher stolpert man auf ungewöhnlichem Weg. Vor einigen Jahren landete ich über das Writer Beware-Blog auf der Webseite eines betrügerischen Literaturagenten, von da aus surfte ich weiter zu einer anderen amerikanischen Literaturagentur, und um zu schauen, wie seriös oder nicht die sein könnte, warf ich einen Blick auf ihre erfolgreich vermittelten Titel – und stieß dort auf ein Buch, das so interessant aussah, dass ich es mir postwendend kaufte. Schon der Titel klang vielversprechend. The Goblin’s Puzzle: Being the adventures of a boy with no name and two girls called Alice – das war doch schon mal sehr ansprechend, und als ich dann auch noch im Klappentext las, dass es sich um eine Verwechslungsgeschichte handelt, in welcher der Drache die falsche Maid raubt, war mir klar, dass ich es haben musste.

Und dann, wie so oft, wanderte das Buch ins Regal, und ich schaute es mehr als fünf Jahre lang nicht mehr an, bis es mich jetzt angesprungen hat. Die Lektüre von Furthermore hatte mir vor Augen gerufen, wie viele Jugendbuchheldinnen doch Alice heißen, und hier hatte ich nicht nur eine, sondern gleich zwei Namensträgerinnen – und so nahm ich mir The Goblin’s Puzzle als nächstes vor, und ich muss sagen, es war ein angenehmes, gut zu lesendes Stück Jugendliteratur. Am Anfang bin ich noch über eine in meinen Augen unnötig brutale Szene gestolpert, aber das hat sich zum Glück nicht durch das ganze Buch gezogen, und ich denke, es ist ein durchaus empfehlenswertes Buch für Kinder ab zehn bis zwölf Jahren, die Märchen und Logik mögen.… Weiterlesen “Andrew S. Chilton: The Goblin’s Puzzle”

bookmark_borderTahereh Mafi: Furthermore

Seit ich im Alter von siebzehn, achtzehn Jahren Alice‘s Adventures in Wonderland zum ersten Mal auf Englisch gelesen habe – und verstanden, dass die uninsprierte Übersetzung, die ich als Kind gelesen hatte, dem Buch in keiner Weise gerecht wurde – ist das eines meiner absoluten Lieblingsbücher, und ich bin immer auf der Suche nach Kinderbüchern, die es damit aufnehmen können, die Wortwitz und Philosophie miteinander verbinden, vielleicht auch noch ein bisschen Humor mitbringen, und das ganze auch noch in schöner, poetischer Sprache: Solche Bücher gibt es, doch sie sind selten.

In  Catherynne M. Valentes Buch The Girl Who Circumnavigated Fairyland in a Ship of Her Own Making hatte ich einen würdigen Titel gefunden, es mit Alice aufzunehmen, zauberhaft und so zerbrechlich wie Herbstlaub, doch das hieß nicht, dass meine Suche da ein Ende gefunden hatte. Im Gegenteil: Von solchen Büchern kann ich gar nicht genug bekommen. Und als ich über Furthermore, ein Kinderbuch der iranisch-amerikanischen Autorin Tahereh Mafi stolperte, hoffte ich, das nächste Alice‘eske Kleinod gefunden zu haben. Ich wollte dieses Buch so sehr lieben, die Geschichte der im Wortsinn farblosen Alice, die auf der Suche nach ihrem verschwundenen Vater ein wundersames Land bereist, doch diesmal wurde ich nicht gänzlich überzeugt.

Wo mit Carrolls Alice und Valentes September kleine Mädchen aus der wirklichen Welt in eine Phantastische reisen, stammt Mafis Heldin – die, was mich etwas gestört hat, ebenfalls Alice heißt: Hier wäre etwas Eigenständigeres als die direkte Hommage besser gewesen – selbst schon aus einem magischen Land, und auch wenn in Ferenwood die Magie anders angewandt wird als in Furthermore, wirkt es doch wie die schwächere Kulisse, weil der Kontrast zu gering ist.… Weiterlesen “Tahereh Mafi: Furthermore”

bookmark_borderMargo Kelly: Unlocked

Ich war schon über dreißig, als bei mir die erste Psychose diagnostiziert wurde. Ob sie zustande kam, weil ich drei Tage und Nächte nicht geschlafen hatte, oder ob ich drei Tage und Nächte nicht schlief, weil ich eine Psychose hatte, kann ich nicht sagen, aber es ging über Schlaflosigkeit und Erschöpfung weit hinaus. Ich hörte Stimmen. Ich roch Dinge, die nicht da waren. Ich war der festen Überzeugung, mein linker Arm wäre ein implantiertes Fremdorgan. Der Nervenarzt verschrieb mir ein Antipsychotikum. Auf dem Beipackzettel stand »zur Behandlung von Schizophrenie.« »Heißt das, ich bin schizophren?«, fragte ich. Mein Arzt meinte, so eine Diagnose könnte man schlecht nach nur einer Psychose stellen, aber es wäre möglich, auch wenn ich schon ein bisschen alt für einen ersten Ausbruch wäre. Aber das Medikament schlug an, die Psychose ging nach ein paar Tagen wieder, und alles war gut-

Mehrere Psychosen später lebe ich mit der Diagnose »Schizo-Affektive Psychose« – das ist, sinngemäß, Schizophrenie plus Depressionen. Meine letzte Psychose ist Jahre her. Ich nehme meine Antipsychotika regelmäßig, die Depressionen machen mir im Schnitt mehr Probleme, aber unterm Strich lebe ich doch ein vollwertiges, erfülltes Leben. Das war jetzt ein langer Exkurs, wo ich eigentlich ein Buch rezensieren will, aber mir war diese Vorbemerkung wichtig, damit klar ist, warum dieses Buch, Unlocked von Margo Kelly, mich derart zornig machen konnte. So zornig, dass ich jetzt gegen einen meiner Rezensentengrundsätze verstoßen und Sachen aus der Auflösung des Buches spoilern werde, denn es muss sein, um meine Kritik verständlich zu machen.… Weiterlesen “Margo Kelly: Unlocked”

bookmark_borderGeraldine Harris: The Dead Kingdom

Der dritte Band der Seven Citadels ist mit nur 182 Seiten der kürzeste Teil der Tetralogie – für die Lektüre habe ich aber bis jetzt am längsten gebraucht. Zu episodenhaft fühlt sich das Buch an, das vor allem gegen Ende massiv an Fahrt verliert, und die Etappen der Reise, die Kerish-lo-Taan und seine Gefährten zurücklegen müssen, wirken seltsam disjunkt. Alles in allem hatte ich das Gefühl, Harris hätte Probleme gehabt, ihre vom Verlag vorgegebene Mindestlänge zu schaffen, und Seiten schinden müssen, um das Buch noch irgendwie vollzukriegen, und nach dem sehr starken zweiten Band hat der dritte Teil dann leider ein wenig nachgelassen.

Das Königreich der Schatten, die deutsche Ausgabe von The Dead Kingdom, war einer der allerersten Fantasyromane, die ich besessen habe, seit ich das Buch gegen Ende der Achtzigerjahre in der Wühlkiste bei Woolworth erstanden habe – damals neben der Stadtbücherei die einzige Quelle für die bei Goldmann und Heyne verlegten Reihen, denn die beiden Buchhandlungen meiner heimatlichen Kleinstadt führten keine Fantasy. Ich kaufte das Buch, ohne mich damit aufzuhalten, dass es bereits der dritte Band eines Mehrteilers war – es kostete nur irgendwas um die zwei D-Mark, und ich hatte die Hoffnung, den Rest der Reihe schon irgendwie zusammenzubekommen. Das sollte zwar noch Jahre dauern – in der Zwischenzeit hatte ich mir in der Stadtbücherei den Sammelband ausgeliehen und gelesen – aber am Ende hat es ja tatsächlich geklappt.

Jetzt habe ich also, im Verlauf von fünf Tagen, dieses Buch zum dritten Mal gelesen. Und es fällt mir schwer, nachzuvollziehen, wie ein so kurzes Buch, in dem so viel passiert, dabei solche Längen haben kann.… Weiterlesen “Geraldine Harris: The Dead Kingdom”

bookmark_borderJohn und Carole E. Barrowman: Hollow Earth

John Barrowman kenne ich als Schauspieler aus den Serien Doctor Who und Torchwood, und was ich von ihm da und in TV-Interviews gesehen habe, gefiel mir immer sehr gut – als ich dann gesehen habe, dass er auch Bücher schreibt, wurde ich neugierig. Zusammen mit seiner Schwester Carole E., einer Autorin und Lehrerin für Kreatives Schreiben, hat er für Kinder die Hollow Earth-Reihe geschrieben, deren ersten Band ich mir kurz nach ihrem Erscheinen 2012 angeschafft habe. Wie so oft bei mir, hat es über zehn Jahre gedauert, bis ich das Buch dann auch gelesen habe – aber ein Vergnügen war es nicht. Hollow Earth, das ich innerhalb von drei Tagen runtergelesen habe, mag spannend sein, aber seine Rollenbilder sind so angestaubt, dass es sich wie ein deutlich älteres Buch  angefühlt hat, und alles in allem hat das Buch den literarischen Nährwert eines durchweichten Pappkartons, hohl wie die Welt, die es dort zu entdecken gilt.

An der Prämisse liegt es nicht: Die Zwillinge Matt und Em haben eine so überbordende Phantasie, dass sie ihre eigenen Gemälde zum Leben erwecken können – das ist ein echt schöner Aufhänger für ein Buch für Acht- bis Zwölfjährige. Dachte ich. Aber nicht nur war das Buch eine herbe Enttäuschung, ich würde es auch keinem achtjährigen Kind in die Hände geben wollen, so grausam sind viele Szenen in dem Buch. Und dass ich mit meinen achtundvierzig Jahren nicht die Zielgruppe bin, lasse ich nicht stehen – ein gutes Kinderbuch bietet immer auch für Erwachsene etwas.… Weiterlesen “John und Carole E. Barrowman: Hollow Earth”

bookmark_borderGeraldine Harris: The Children of the Wind

Mit Erinnerungen ist das so eine Sache. Während ich mich bei der Lektüre von Prince of the Godborn noch an ziemlich viel von dem, was ich zuletzt vor fünfundzwanzig Jahren gelesen hatte, erinnern konnte, wusste ich vom zweiten Seven Citadels-Buch, The Children of the Wind, praktisch nichts mehr – nur an eine Nebensächlichkeit konnte ich mich noch erinnern, Fetzen eines Dialoges, ansonsten war alles so neu für mich, als hätte ich es nicht bereits zweimal zuvor gelesen gehabt. Und so habe ich das Buch gelesen, als hätte ich die frischen Augen eines Erstlesers, und die Spannung hatte mich von der ersten bis zur letzten Seite.

Das ging sogar schon los, bevor ich das Buch auch nur angefangen hatte. Noch während ich damit beschäftigt war, mich durch The Girl with Glass Feet zu quälen, habe ich die – oder besser, eine mögliche – Handlung von Children of the Wind geträumt. Dass ich von einer Geschichte, die ich lese, träume – sowas ist mir seit vielen, vielen Jahren nicht mehr passiert. Und nachdem ich beim Prince of the Godborn ja gar erst nicht mehr so sicher war, ob ich die Reihe überhaupt noch mochte, zu groß erschienen mir die handwerklichen Mängel des Buches, bin ich jetzt, nur einen Band später, wieder völlig verliebt in die Sieben Zitadellen.

Ich muss nicht mehr am Geschmack meines siebzehnjährigen Ichs zweifeln, und nicht an dem meines vierundzwanzigjährigen – heute bin ich doppelt so alt wie damals und würde mich doch am liebsten eher heute als morgen an eine Fanfiction machen.… Weiterlesen “Geraldine Harris: The Children of the Wind”

bookmark_borderAli Shaw: The Girl with Glass Feet

Von den Büchern, die ich mir um 2011, als ich meinen letzten größeren Leseschub hatte, gekauft habe, ist The Girl with Glass Feet sicherlich eines der Hübschesten. Das Cover in verträumt-verschneiten Grautönen, dazu ein silberner Seitenschnitt, lange bevor Farbschnitt ein Thema wurde: Dieses Buch verspricht eine zart-zerbrechliche, phantastisch-romantische Liebesgeschichte, und nachdem das Buch gut und gern zwölf Jahre ungelesen im Regal gestanden hat, erschien es mir wie eine gute Wahl für kalte Wintertage. Selten habe ich mit einem Buch mehr daneben gelesen.

Der Klappentext spricht die gleiche Sprache wie das Cover und lügt dabei auch nicht. Auf der Inselgruppe St. Hauda’s Land gehen merkwürdige Dinge vor: ein Tier geht um, dessen Blick alles, was er berührt, weiß wie Schnee macht, seltsame Tiere flattern umher, und Ida Maclaird wird, von den Zehen aufwärts, zu Glas. Kann der Außenseiter Midas Crook sie mit seiner Liebe retten? – ja, das klingt wie Romantasy vom Feinsten. Ist es aber nicht. Vom Genre her würde ich es bestenfalls unter »magischer Realismus« einsortieren, eher noch unter klassischer Belletristik. Und auch wenn eine Liebesgeschichte im Mittelpunkt des Buches steht, war es für mich doch an keiner Stelle romantisch.

Dabei ergänzen sie sich eigentlich perfekt. Midas ist ein Mann ohne Körper, ein schwebendes Auge, das die Welt durch die Linse seiner Kamera als stiller Beobachter sieht, außerhalb der Dinge und des Lebens, der im Verlauf der Handlung körperlich werde muss. Ida wiederum ist dabei, genau das – ihren Körper – zu verlieren. Beide durchleben eine Metamorphose: Midas hin zum Menschen, Ida hin zum Objekt.… Weiterlesen “Ali Shaw: The Girl with Glass Feet”