Ich lese keine Kurzgeschichten, noch nicht einmal kurze Geschichten. Wenn ein Plot nicht langsam und sorgfältig aufgebaut wird, die Figuren keinen Platz für Entwicklung haben, kann ich mich auch nicht dafür begeistern. Zwei Ausnahmen gibt es aber: Das eine sind bissige Satiren von Roald Dahl, Hermann Harry Schmitz oder Jaroslav Hašek, das andere sind Gruselgeschichten. Beides fand ich in meiner Jugend in ausreichender Menge auf unserem Gästeklo – ich glaube, meine Eltern sind die einzigen, die ein Bücherregal mit fünf oder sechs Brettern über der Toilette installiert haben, und da ich dafür berüchtigt war, alles zu lesen, was mir in die Hände fiel, standen die Gruselgeschichten ganz, ganz oben, dass ich auf der Kloschüssel und Zehenspitzen stehen musste, um sie zu erreichen, was mich aber nicht davon abgehalten hat, eine langjähriges Liebe zu allem Gruseligen zu entwickeln.
Ich unterscheide zwischen Grusel und Horror. In Horrorgeschichten verfolgen uns lebende Leichen mit heraushängendem Gedärm, und ich habe nur ein müdes Gähnen für sie übrig. Aber mit guten Gruselgeschichten fresse ich vor Angst meine Fingerkuppen und traue mich nachts nur dann ins Badezimmer, wenn auch wirklich alle Lampen auf dem Weg dorthin brennen – sie gewinnen ihren Schrecken dadurch, dass meistens eigentlich gar nichts passiert, man aber jeden Moment damit rechnen muss. Und deswegen ist das mit Gruselgeschichten für Kinder so eine Sache. Es gibt sie nicht. Kindgerechter Horror ist, wenn die Zombies nebenbei noch lustig sind. Aber vermeintlich kindgerechter Grusel verursacht die gleichen Alpträume, das gleiche Entsetzen wie bei Erwachsenen. Angst ist Angst, und eine Gruselgeschichte, die keine Angst machen will, ist keine Gruselgeschichte.… Weiterlesen “Chris Priestley: Uncle Montague’s Tales of Terror”