Warum Menschen mit psychischen Erkrankungen Bücher schreiben, liegt auf der Hand: Der Prozess des Schreibens hilft, die Narben in der Seele aufzuarbeiten, sich literarisch von Kindheit, Krankheit und Trauma zu distanzieren, und am Ende steht das befreiende Gefühl, endlich einmal alles losgeworden zu sein. Aber warum muss das verlegt werden? Und warum gelesen? Tatsächlich gibt es einen großen Markt für Leidensberichte. Das können nicht nur andere Betroffene sein, die sich aus diesen Werken Lebenshilfe versprechen und sich sagen »Wenn sie das geschafft hat, kann ich das auch« – so viele Betroffene gibt es dann doch nicht, zum Glück. Den Großteil machen also wohl die Sensationstouristen aus. Leute, die sich plötzlich richtig gut fühlen, wenn sie lesen oder sehen, dass es anderen noch viel viel schlechter gibt.
Während der Lektüre von Weniger als Nichts habe ich mich mehrmals gefragt, warum ich mir das Buch überhaupt ausgeliehen habe, warum ich mir seinen schwerverdaulichen Inhalt antue – Neutrales Interesse? Mitleid? Identifikation? Sensationsgier? Ich kann es nicht mit Bestimmtheit sagen. Aber ich habe es gelesen, und gelitten, bis zum Schluss.
Niemand weiß, wie alt Elizabeth Kim wirklich ist, nicht einmal sie selbst. Ihr Geburtstag, sogar ihr Geburtsjahr, sind so unbekannt wie der Name, den sie vielleicht einmal hatte, bevor sie durch Adoption Elisabeth Kim wurde. Ihr Leben war schrecklich, und als habe es von Anfang an darauf abgesehen, eines Tages zu einem Buch zu werden, wurde es immer und immer schrecklicher. Dieses Buch erzählt das Leben einer Unperson – geboren in der Umgebung Seouls als Tochter eines Amerikaners und eine Koreanerin, die sich nicht nach der Schande des Verlassenwerdens und der Schwangerschaft nicht dramatisch das Leben nahm, wie uns die Mme.… Weiterlesen “Elizabeth Kim: Weniger als nichts”