Woher nimmst du dir das Recht, über ein Buch zu urteilen?
Ich nehme mir dieses Recht nicht, ich habe es. Es ist das Recht eines jeden Lesers. Man muss kein Buchhändler oder Bibliothekar oder Literaturwissenschaftler sein, um ein Buch kritisieren zu dürfen, nicht für eine Zeitschrift arbeiten, fürs Radio oder fürs Fernsehen – jeder Leser bildet sich von jedem Buch, das er liest, auch eine Meinung. Automatisch. Man kann nichts dagegen tun. Jeder Leser fällt sein Urteil. Ich mag es dann nicht bei der Feststellung »Gutes Buch« oder »Schlechtes Buch« belassen – die meisten bewegen sich ohnehin in der Grauzone dazwischen – sondern suche nach Punkten, woran ich es festmachen kann. Was hat mir an dem Buch gut gefallen? Was gar nicht? Und dann schreibe ich es auf.
Es ist mir egal, ob ich damit eventuell einen Autor vor den Kopf stoße – hat der mich nicht zuerst beleidigt, indem er ein übles Machwerk auf den Markt gebracht hat? Will ich nicht irgendwie entschädigt werden für Zeit, die ich an ein ödes Buch vergeudet habe? Jeder Autor, der ein Buch veröffentlicht, muss damit rechnen, dass es nicht jedem gefällt. Ein Buch nicht zu mögen, gehört zu den Grundrechten jedes Lesers. Oft sind nicht nur die Autoren Schuld. Lieblos verhunzende Übersetzungen können jedes gute Buch zerstören, schlampige Lektoratsarbeit, all das trägt zum Ruin eines Romans bei. Man darf aber nicht vergessen, dass es auch gute Übersetzer, gute Autoren und gute Lektoren, kurz: Gute Bücher gibt. Und auch das sollte man in seinen Kritiken nicht unerwähnt lassen.Belohnt die guten Bücher. Bestraft die Schlechten. So einfach ist das, und jeder darf es. Auch wenn es sich vielleicht nicht jeder zutraut.
Warum schreibst du immer so wenig zum Inhalt?
Ich will neugierig auf ein Buch machen, nicht seinen Inhalt nacherzählen oder den Klappentext abschreiben. Eine Rezension ist eine kritische Auseinandersetzung mit einem Buch, kein Leseersatz, auch wenn man dadurch erfährt, welche Bücher man sich besser sparen kann. Ich schreibe absichtlich nur wenig über den eigentlichen Inhalt, deute hauptsächlich das Thema an und das Leitmotiv, um dem Leser nicht Spaß und Spannung zu rauben – ich selbst hasse es, wenn man mir zu viel vom Inhalt eines Buches erzählt, bevor ich es gelesen habe. Denn dann endet es meistens damit, dass ich das Buch gar nicht mehr lesen muss: Ich kenne es ja schon. Die Vermittlung des Inhalts überlasse ich den Autoren.
Ich dagegen konzentriere mich auf die Bewertung, auf das Aufzeigen der Hintergründe wie auch meines persönlichen Verhältnisses zu gerade diesem Buch – also all die Sachen, die im Buch selbst nicht drinstehen. Das ist der Unterschied zwischen Primärliteratur (dem Buch selbst) und Sekundärliteratur (der Rezension). Das eine und das andere ergänzen sich, aber sie sind kein Ersatz füreinander. Wer daher durch eine meiner Rezensionen neugierig auf den Inhalt geworden ist, braucht sich nicht zu grämen: Schnell das Buch besorgt, und dann wünsche ich frohes Lesen.
Wo lernt man, Rezensionen zu schreiben?
Ich legte bei meiner mündlichen Buchhandelsprüfung vor der IHK eine bis heute unschlagbare Glanzleistung hin, unter anderem durch die vergleichende Besprechung zweier Bücher von meiner Leseliste – Arnes Nachlass von Siegfried Lenz und Alberta empfängt einen Liebhaber von Brigitte Vanderbeeke, wobei letzteres bei mir recht schlecht weg kam. Ich ging mit hundert von hundert Punkten aus der Prüfung und war sehr stolz auf mein Genie – aber Literaturkritik ist kein angeborenes Talent.
Man muss keine Literaturwissenschaften studiert haben, aber eine Kenntnis der Literaturgeschichte sollte man schon haben, um ein Buch im Zusammenhang einordnen zu können. Und je mehr man im Leben gelesen hat, desto besser – davon wird sich zwar an der subjektiven Qualität des Lesestoffs nichts mehr ändern, aber man kann bessere Vergleiche ziehen und weiß auch eher, was wirklich neuartig ist und was schon lange oder schon oft da war. Auch ein gutes Gespür für Sprache ist wichtig – nicht nur beim Lesen, sondern auch, um die Rezension hinterher in Worte packen zu können.
Der letzte Teil ist dann eigentlich reiner Journalismus. Wer im Deutschunterricht aufgepasst hat, wenn es um den Aufbau einer Argumentation ging, ist klar im Vorteil, denn eine Rezension ist nichts anderes: Der Rezensent hat von dem betreffenden Buch eine Meinung, von der er nun alle Welt überzeugen will. Das geht laut und mit Gepolter oder leise und subtil, ganz nach Geschmack. Ich baue meine Rezis meistens so auf: Ein Absatz Einleitung, einer zum Inhalt, einer zu allen bemerkenswerten Fakten um Autor und Buch, und ein Fazit mit Leseempfehlung oder -warnung. Das hat sich für mich ganz gut bewährt, ist aber sicher nicht der alleinseligmachende Weg. Aber man sollte ein Buch, das man rezensiert, auch bis zum Ende gelesen haben, aus Fairnessgründen. Natürlich merkt man schnell, ob man es mag oder nicht. Aber entweder weglegen oder verreißen – nicht beides. Sonst wird man zu schnell durchschaut und dann von keinem Leser mehr ernstgenommen.
An wen richten sich diese Rezensionen?
An Leser. Klar. Insbesondere an solche Leser, sie sich nicht nur von Bestsellerlisten beeindrucken lassen und bereit sind, auch mal über den Tellerrand zu schauen, und die weder vor Kinderbüchern, noch vor vermeintlichem Schund und sogenannter Weltliteratur zurückschrecken. An ehemalige Leser, den die Spaß am Lesen verloren haben und ihn gerne wiederfinden möchten, und an des Lesens Überdrüssige, die anhand zahlreicher Verrisse bestärkt werden wollen in ihrer Ansicht, dass es ohnehin keine guten Bücher mehr gibt und auch nie gegeben hat.
Natürlich auch an Leute, die das gleiche Buch gelesen haben und eine zweite Meinung oder weiterführende Informationen einholen wollen, und an Schadenfrohe, die sich freuen, dass ich ihnen viele schlechte Bücher erspare, von denen sie wahrscheinlich sonst nie gehört hätten. Also, um es kurz zu fassen: An Leser.
Nach welchen Kriterien suchst du deine Bücher aus?
Tatsächlich nach Lust und Laune. Es gibt verschiedene Genres, die ich gern lese – Krimi, Mystery – die ich selbst schreibe – Fantasy – und die ich lieber gar nicht lese – Romantik, Neue Frau, Historischer Roman. Ich lasse mich von Covern anspringen und von Titeln, ich lese Klappentexte und schaue, über was ich im Internet und beim Buchhandlungsbesuch so stolpere – und meistens landen die Bücher dann doch auf meinem Stapel Ungelesener Bücher und werden nie wieder angeschaut.
Wenn mir nach Lesen ist, wandere ich an meinen Regalen entlang und greife nach Lust, Laune und Tagesform nach diesem oder jenem. Es kann auch vorkommen, dass ich plötzlich alles stehen und liegen lasse, an ein Regal stürme und mir zielsicher ein Buch greife, von dem nur mein Unterbewusstsein überhaupt noch wusste, dass es da war. Seit ich beschlossen habe, alles zu rezensiere, lese ich auch fast jedes Buch brav bis zum Ende. Die Aussicht, einen Verriss schreiben zu dürfen, gibt mir oft die Kraft, auch ein grässliches Werk bis zum Ende durchzuarbeiten. Und wenn ich ein Buch liebe, will ich, dass alle Welt von dieser Liebe erfährt und versteht, dass sie dieses Buch lesen muss, jetzt, sofort.
Warum breitest du in jeder Rezension deine Lebensgeschichte aus?
Eine Rezension ist immer Geschmackssache. Jedes auf den ersten Blick noch so schlechte Buch hat Leser, die es mögen, die sogar bereit sind, Geld dafür auszugeben. Egal ob Verlagsbuch oder Selfpublishertitel: Irgendwo auf der Welt ist ein Mensch, der es mag.
Es gibt keine objektiven Rezensionen. Wäre es möglich, ein Buch völlig neutral zu bewerten, würde weltweit eine einzige kundige Rezension pro Buch ausreichen, bräuchte es keine Buchblogger, und hätte sich das Literarische Quartett niemals in die Haare bekommen. Eine Rezension, wie gut ihre Argumentation auch sein mag, stellt immer eine persönliche Meinung dar.
Sie hängt ab von der Person des Rezensenten, dessen Erfahrungen und Vorlieben, aber auch von der jeweiligen Tagesform. Wer gerade eine gescheiterte Beziehung hinter sich hat, wird ganz anders auf eine Liebesgeschichte reagieren als ein halbes Jahr später, wenn er wieder erfolgreich liiert ist. Im Winter liest man anders, und andere Titel, als in den Sommerferien. Manche Bücher sind nur für die Badewanne zu gebrauchen. Und so schreibe ich in den meisten Fällen auch etwas über die Umstände, in denen mir das Buch begegnete, und meine persönliche Beziehung dazu. Will ich mich profilieren und in den Vordergrund rücken? Sicher. Warum sonst sollte ich meine Rezensionen unbedingt mit der Welt teilen wollen?
Warum rezensierst du lauter alte Kamellen?
Ich glaube nicht an Bestsellerlisten. Zumindest glaube ich nicht, dass sie irgendetwas über die Qualität eines Buches aussagen, weder im Guten noch im Schlechten. Das sage ich nicht nur, weil meine eigenen Bücher noch nie auf einer standen – im Gegenteil, diese Ansicht hilft mir, diese traurige Tatsache besser zu verkraften.
Und gerade bei aktuellen Erfolgstiteln hat man es nicht schwer als Leser, weiterführende Informationen oder Rezensionen zu finden. Gerade diese Präsenz macht mich aber oft auch voreingenommen und nimmt mir die Lust, mir eine eigene Meinung zu bilden. Ich nehme mir oft unauffällige oder vergessene Bücher vor, um dann als nicht als Literaturpäpstin, aber als Pionierin oder Wiederentdeckerin in Erscheinung zu treten.
Bücher werden mit den Jahren nicht grundsätzlich schlechter oder besser. Was sich ändert, ist vielleicht der Geschmack der Durchschnittsleser, und Zeitgeschichte und Politik spielen natürlich eine Rolle. Darum muss man viele Bücher aus ihrer Zeit heraus beurteilen, auch wenn man sagen muss, dass manches, was man heute von früher noch mal liest, echt schlecht gealtert ist.
Aber ein wirklich gutes Buch bleibt immer ein wirklich gutes Buch. Das, was einen Menschen bewegt, was ihn ticken lässt, hat sich seit den klassischen griechischen Tragödien nicht wirklich geändert – Liebe, Hass, Zorn, Gier, Schuld. Es sind diese Motive, die sich seit Beginn des Literaturschaffens durch Bücher und Theaterstücke ziehen. Geschmack und Gesellschaft mögen sich ändern, der Mensch an sich tut es nicht.
Wo kann ich die besprochenen Bücher bekommen?
Ich habe die bibliographischen Angaben zu den Titeln bewusst knappgehalten und auf alles verzichtet, was sich schnell ändern kann – gebe ich die ISBN an, ist diese Ausgabe bald nicht mehr lieferbar und durch eine andere ersetzt worden. Aber allein mit dem Autorennamen und dem Titel kann jede Buchhandlung herausfinden, ob und in welcher Form das Buch lieferbar ist, und in Antiquariaten und Bibliotheken sind auch lang vergriffene Titel noch verfügbar.
Kann ich dir ein Buch zur Rezension schicken?
Bitte nicht! Wie soll ich auf Kommando rezensieren, wenn ich nicht mal auf Kommando lesen mag? Meine private Bibliothek ist voll von ungelesenen Büchern, die eine lange Wartezeit hinter sich gebracht haben und das Recht erworben, bald gelesen zu werden. Wie soll ich denen erklären, warum ich plötzlich dem Buch eines Fremden den Vorzug gebe?
Nein, Scherz beiseite: Ich möchte in meinem Lesen und Rezensieren frei und unabhängig bleiben. Und am Allerwenigsten will ich irgendwelche Erwartungen erfüllen müssen, die ein anderer Leser, Autor oder gar Verlag an mich und meine Meinung stellen. Es gibt genug Leute mit Blogs und Onlinemagazinen, die sich über jedes Reziexemplar freuen. Ich gehöre nicht dazu.
Warum besprichst du keine Filme und Musik?
Irgendwo muss man auch mal einen Punkt machen. Bibliophilis ist, wie der Name schon andeutet, ein Buchblog, und ich habe genug zu tun mit dem Ansinnen, jedem gelesenen Buch eine richtige Rezension zu verpassen. Wenn ich jetzt auch noch jeden Film und jedem Album dazu nähme, würde nicht nur ein Vollzeitjob daraus, sondern das Blog würde auch seine klare Linie verlieren. So aber ist klar: Hier geht es um Bücher. Punkt. Wer sich hingegen für Computerspiele interessiert: Für die habe ich ein eigenes Rezensionsblog, Dampfbacke.
Wie kann ich mich für eine miese Rezension rächen?
Du bist ein Autor, der bei mir schlecht weggekommen ist? Oder habe ich eines deiner Lieblingsbücher geschmäht? Dann kannst du dich ganz leicht rächen und brauchst dafür nicht mal eine Axt oder Briefbombe. Und du hast sogar zwei verschiedene Möglichkeiten:
Die einfachere ist, die Kommentarfunktion unter der Rezi zu nutzen. Da kannst du dann in aller Ruhe und Ausführlichkeit offenlegen, warum das Buch in Wirklichkeit viel besser war und ich nur zu dumm, es richtig zu verstehen.
Die andere Möglichkeit ist etwas komplizierter, aber dafür kannst du mir damit nachhaltig wehtun: Ich habe selbst Bücher geschrieben, und wer austeilen will, muss auch einstecken können. Nimm dir also eines meiner Bücher vor, vom Puppenzimmer über die Neraval-Sage bis Unten, zu lies sie, und schreibe einen entsprechenden Verriss für dein eigenes Literaturblog. Sollten dir meine Bücher dagegen wider Erwarten gefallen, hast du natürlich ein Dilemma – aber es steht dir auch jederzeit frei, mir zu vergeben und mein Werk in den höchsten Tönen zu loben.
Sind deine Rezensionen auch schon mal irgendwo veröffentlicht worden?
Die Rezensionen auf Bibliophilis sind alles Originale und exklusiv für dieses Buchblog verfasst worden. Ich habe aber bereits Rezensionen von Gesellschaftsspielen und Rollenspielmaterial für das Magazin Windgeflüster und von Rollenspielromanen für die LORP – Library of Role Playing verfasst. Inzwischen rezensiere ich aber nur noch hierselbst, da ich die Freiheit haben wollte, selbst zu entscheiden, was ich bespreche und was nicht und unabhängig von verlagsverschickten Rezensions- und Belegexemplaren sein wollte.
Was bedeutet überhaupt Bibliophilis?
Bibliophilis – gesprochen bib-li-O-fi-lis – ist kein Fremd- sondern ein Kunstwort. Es setzt sich zusammen aus dem griechischen βιβλιόφιλος (Bücherliebe) und der Endsilbe –is, die man von diversen Krankheiten kennt (z.B. Syphilis). Die Bedeutung ist also Krankhafte Liebe zum Buch. Zumindest in meinem Privatwortschatz.