bookmark_borderTom McNab: Trans-Amerika

Zu sagen, dass ich aus der Form bin, ist sicher falsch – es würde implizieren, daß ich jemals in Form war. Tatsächlich ist alles Sportliche mir seit jeher fremd. Meine Bestzeit für einen Dauerlauf von einem Kilometer liegt irgendwo im Fünf-Minuten-Bereich, und das war vor fünfzehn Jahren – ich komme aus der Puste, ehe ich auch nur die erste Runde gedreht habe, und es war auch noch nie mein Ehrgeiz, gut in Sport zu sein. Ich habe den Preis dafür gezahlt in Form von Mobbing und Prügeln, da will ich jetzt zumindest in Würde unsportlich sein dürfen. Aber man wird weder jünger noch dünner, und daß ich auf der Arbeit nicht ohne Verschnaufpause die Treppen hochkomme, bekümmert mich, also, ich habe beschlossen, etwas für meine Fitness zu tun. Acht Monate Vollzeitarbeit haben ihr Möglichstes getan, mich in einen schlaffen Sack zu verwandeln – jetzt arbeite ich nur noch Halbtags, und der Rest der Zeit soll mir zur körperlichen wie geistigen Ertüchtigung dienen. Das wichtigste dafür habe ich schon geschafft: Ich habe Trans-Amerika von Tom McNab gelesen, die Bibel der Langstreckenläufer, wie mir der Prospekt der Büchergilde versprochen hat.

Knapp 550 Seiten erfordern Fitness und Ausdauer auch als Leser, aber der Autor war nicht nur Leistungssportler und Trainer, sondern auch Motivationscoach: Und so ist es ihm ein Leichtes, den Leser bei der Stange zu halten. Spannend ist das Buch, und obwohl es 1931 spielt und 1982 erstmals veröffentlicht wurde, ist es auch ausgesprochen aktuell: Die trüben Zeiten der Wirtschaftskrise haben uns doch alle irgendwie wieder eingeholt, und was hilft dagegen besser als Durchhalteparolen – ich will nicht sagen »Yes, we can«, aber es liegt mir auf den Lippen: Meistens ist der Satz ja unangebracht, und im Zusammenhang mit einem Dauerlauf von 5.000 Kilometern quer durch die Vereinigen Staaten kann er aus vielen Mündern kommen, aber nicht aus meinem.… Weiterlesen “Tom McNab: Trans-Amerika”

bookmark_borderMargery Allingham: Ein böser Nachbar

Nachdem ich vor zwei Jahren dann doch gescheitert bin in meinem Ansinnen, alle Bücher Margery Allinghams zu lesen und zu rezensieren, nachdem Christoph aus München zurück war und ich keine sechsstündigen Bahnfahrten mehr zu absolvieren hatte, gibt es nun einen neuen Anlauf. Nach wie vor ist meine Begeisterung für diese britische Autorin ungebrochen, und nachdem jetzt Dorothy Sayers bei mir erste Abstriche am Image hinnehmen mußte, widme ich mich nun also wieder ihrer unbekannten Konkurrentin: Und so folgt auf Sayers Erstling nun der erste Kriminalroman Allinghams

Ein böser Nachbar ist ein Roman, der in vielerlei Hinsicht den Vergleich mit ein Toter zuwenig scheuen muss, aber auch mit seinen eigenen Nachfolgern um den undurchsichtigen Privatermittler Albert Campion. Nicht nur ist das Buch mit knapp 160 Seiten deutlich dünner als die meisten Krimis, es ist auch in seiner Entstehungsgeschichte nicht mit einem durchgeplanten, geschriebenen und überarbeiteten Roman zu vergleichen. Vor seiner Veröffentlichung als Buch im Jahr 1928 war The White Cottage Mystery als Fortsetzungsroman im Daily Express veröffentlicht worden, und Trotz einer späteren Überarbeitung durch Allinghams Schwester Joyce, bei der die typischen Was-bisher-geschah-Einführungen am Anfang der einzelnen Kapitel herausgekürzt wurden, bleibt der Kolportage-Charakter des Buches durchgehend spürbar. Aber typisch für Kolportageromane sind nicht nur die sehr kurzen und ziemlich exakt gleich langen Kapitel und oft das Gefühl, dass das Ende nicht so recht mehr zum Anfang passen mag, sondern auch besonders gute Lesbarkeit und Spannung bis zum Schluss – ein Fortsetzungsroman darf sich keine langatmigen Strecken erlauben, auch wenn die Spannung gewöhnlich auf Kosten des Anspruchs geht.… Weiterlesen “Margery Allingham: Ein böser Nachbar”

bookmark_borderDorothy L. Sayers: Ein Toter zuwenig

Dorothy L. Sayers gehört zu den ganz großen Damen der britischen Kriminalliteratur. Sie hat nicht so viele Bücher geschrieben wie Agatha Christie – bei weitem nicht – aber dafür bringt sie den höheren literarischen Anspruch mit, spickt ihre Bücher mit Anspielungen und Zitaten und nimmt es am Ende so ernst mit ihrer Literatur, daß sie das Krimischreiben drangibt und nur noch religiös-philosophische Schriften verfaßt. Doch egal, wie es zu Ende ging – ihren Verdienst um den Kriminalroman kann man ihr nicht absprechen, und sie hat vielen Autorinnen klassischer Krimis den Weg geebnet.

Auch ich verdanke ihr viel: Ihre Krimis waren die ersten, die meine Eltern mich lesen ließen, als ich mit gut vierzehn Jahren meinte, ich wäre nun aus den Drei Fragezeichen rausgewachsen und wolle gern auch mal etwas mit richtigen Morden lesen – da gaben sie mir Ein Toter zuwenig zu lesen, und erst als ich schon mehr als halb durch war, merkten sie, dass es vielleicht doch nicht die weiseste Wahl war, denn das Schicksal des Sir Reuben ist doch eines von der grauslicheren Sorte… Aber es scheint mir nicht geschadet zu haben, begründete mein bis heute ungebrochenes Interesse an der Gerichtsmedizin im Besonderen und am klassischen englischen Kriminalroman im Allgemeinen, und ich finde es immer noch am besten, bei einer Krimireihe auch mit dem ersten Band anzufangen. Seither habe ich Ein Toter zuwenig bestimmt vier- oder fünfmal gelesen, öfter als jeden anderen Band der Reihe, weil es immer der erste Krimi ist, zu dem ich im Krankheitsfall greife.… Weiterlesen “Dorothy L. Sayers: Ein Toter zuwenig”

bookmark_borderRumer Godden: Das verbotene Haus

Über das Buch Who’s Who in Children’s Literature kam ich auf die britische Autorin Rumer Godden – vertreten mit The Dolls’ House, Geschichte einer Puppenfamilie. Dieses Buch besitze ich zwar nicht, wohl aber ein anderes von Godden, in dem es ebenfalls um Puppen geht – und darum habe ich Anlass und Grippe genutzt und mich noch einmal über Das verbotene Haus hergemacht. Es ist wieder eines von diesen Büchern, die mit seit meiner Kindheit begleiten, und damals wie heute hat es einen großen Eindruck auf mich hinterlassen.

Als Kind war ich immer, bestrebt, mich von meiner jüngeren Schwester zu unterscheiden, die wilde, wagemutige. Dass ich im Kindergarten noch mit Puppen gespielt habe, stimmt, allerdings war das mehr das ritualisierte Ankleiden und Zu-Bett-Bringen einer bestimmten Puppe, das ich zusammen mit verschiedenen anderen ritualisierten Aufgaben hinter mich bringen musste – ein bestimmtes Bild malen, ein bestimmtes Muster stecken – bevor ich mit dem eigentlichen Spielen anfangen konnte. Zuhause fristeten meine Puppen mehr ein Schattendasein – ich mochte sie, weil sie schön waren, doch ich spielte nicht mit ihnen. Vielleicht lag es daran, dass meine Mutter damals Puppen machte – wenn man dem ganzen Herstellungsprozess beiwohnen kann, ist das eine sehr entmystifizierende Sache, und es wäre mir nicht im Traum eingefallen, eine Puppe für ein lebendes, fühlendes Wesen zu halten. Warum also so tun als ob? Geschichten erleben konnte ich auch in meinem Kopf, dafür brauchte ich keine Puppen, und wenn es darum ging, kleine Leute zu wickeln – dafür hatte ich Geschwister.… Weiterlesen “Rumer Godden: Das verbotene Haus”

bookmark_borderA.A. Milne: Four Days Wonder

Schubladen sind für Verlage etwas Tolles, und für Autoren etwas Schreckliches. Hat ein Autor mit einem Werk großen oder gar sehr großen Erfolg, wird man ihn kaum noch etwas anderes schreiben lassen. J.K. Rowling zum Beispiel wird man keine naturalistischen Krimis mehr abkaufen und keine historischen Romane, die in der inneren Mongolei spielen und in denen kein bisschen Zauberei vorkommt. Unter einem Pseudonym, vielleicht – aber selbst dann kann sich der Verlag querstellen, denn er weiß nicht, ob er diese Bücher dann verkaufen kann, und überhaupt soll sie keine Zeit mit Experimenten verschwenden, sondern den neuen Harry Potter ranliefern! Wir wissen noch nicht, wie J.K. Rowling auf die Dauer damit umgehen wird. Aber im hier vorliegenden Fall, dem unvergleichlich köstlichen Werk Four Days Wonder, sind sie am Ende alle gescheitert: Der Verlag, der Autor, und das Buch.

Der Autor war kein Unbekannter, ganz im Gegenteil: Alle Welt liebte Alan Alexander Milne als den Verfasser der beiden Bücher um die Abenteuer des Jungen Christopher Robin und seinen Bären Winnie-the-Pooh, sowie zweier Bücher mit Kinderversen. Dass er außerdem verschiedene Romane geschrieben hatte, darunter einen ehemals sehr erfolgreichen Krimi, interessierte Anfang der Dreißiger Jahre niemanden mehr. Pooh war der Hit. Wir wollen mehr Pooh. Aber einer wollte nicht: Der Autor. 70.000 Wörter Kinderbuch waren ihm genug. Christopher Robin, der Sohn, war groß geworden, spielte nicht mehr mit Teddys und wollte nicht mehr mit Versen unterhalten werden, und A.A. Milne wollte wieder schreiben, wonach ihm der Kopf stand, so wie er es schon immer gewollt hatte.… Weiterlesen “A.A. Milne: Four Days Wonder”

bookmark_borderTove Jansson: Komet im Mumintal

Es war Anfang 1998, und ich hatte ein wichtiges Vorstellungsgespräch. An diesem Tag sollte sich entscheiden, ob Frau K. mich als Auszubildende in ihrer Buchhandelsfiliale haben wollte. Ich wollte diese Stelle, unbedingt, und ich war ebenso entschlossen wie aufgeregt, aber bereit, letzteres gut zu vertuschen. Ich war kompetent. Ich war vorgebildet. Dieser Laden, und kein anderer, sollte aus mir genau die richtige Mischung aus Literatur- und Fachbuchhändlerin machen. Routiniert berichtete ich von meinen Verkaufserfahrungen als Teddybärenmacherin auf Kunsthandwerkermärkten und Börsen. Und warum es mich trotz Bibliothekarsdiplom nun doch lieber in den verbreitenden Buchhandel zog. Und so weiter. Bis an einem Punkt des Gesprächs Frau K. mich abrupt fragte: »Sagen Sie – kennen Sie die Mumins?«

Es ist nicht die Frage, die man von einer Fachbuchhändlerin erwartet, und ebenso unvorbereitet wie spontan verwandelte ich mich vom Kompetenzmonster in einen Menschen und antwortete: »Die Mumins? Ich liebe sie, ich bin mit denen aufgewachsen!«
Hätte ich an der Stelle die Stirn gerunzelt und gesagt ‘Ja, früher habe ich die ganz gern gelesen’ oder die Nase gerümpft und gesagt ‘Kinderbücher…’, dann wäre an dieser Stelle wohl alles vorbei gewesen. Es musste ein Test sein, aber das begriff ich erst viele Jahre später, lange nachdem ich meine Ausbildung erfolgreich abgeschlossen hatte.
»Wer ist Ihre Lieblingsfigur?« fragte Frau K. weiter.
Wieder antwortete ich ohne Zögern: »Der Mumrik«, und setzte erklärend hinterher: »Oder auch Schnupferich.«
Frau K. lächelte. Vielleicht grinste sie auch. »Wissen Sie«, sagte sie dann, »ich mag die kleine Mü am liebsten.«
Und danach, für die Zeit meiner Ausbildung und darüber hinaus, wussten wir beide genau, woran wir beim anderen jeweils waren.… Weiterlesen “Tove Jansson: Komet im Mumintal”

bookmark_borderCarolyne Keene: Die verborgene Treppe

Wenn Bücher aus einer anderen Sprache übersetzt werden, setzen sie manchmal so weit über, dass sie dabei glatt über den Jordan gehen. Bei dem vorliegenden Buch ist dies der Fall – so etwas passiert nur allzu leicht, wenn (meistens nicht durch den Übersetzer selbst, sondern per Verlagsbeschluss) versucht wird, eine Geschichte ans neue Zielpublikum anzupassen. Und so war Nancy Drew, Kultfigur der amerikanischen Jugendbuchszene, dazu verdammt, eine deutsche Austauschstudentin mit Namen Susanne Langen zu werden.

Erst einmal bin ich ja selbst darauf hereingefallen, aber ich war auch erst zehn Jahre alt, als ich mir dieses Buch auf dem Pfarrfestflohmarkt kaufte, und ich war noch unschuldig und ahnte nicht, welche Freiheiten sich Verlage herauszunehmen bereit waren. Ich war nur erstaunt: Eine amerikanische Autorin – Carolyn Keene war ein Name, den ich schon mit zehn als eindeutig amerikanisch identifizierte: Anders als bei Berte Bratt verzichtete man hier darauf, neben der Hauptfigur gleich auch noch die Autorin umzunennen – schreibt Bücher über eine deutsche Heldin? Und die Amerikaner wollen so etwas lesen? Ja, das fiel mir auf, schon mit zehn Jahren, aber ich zog keine Schlüsse daraus – wie sollte ich auch? Stattdessen las ich mich durch ein gutes Halbdutzend Susanne-Langen-Abenteuer, wunderte mich zunehmend, dass ihr Austauschjahr nie vorüberging und sie auf alle Ewigkeit bei ihrem Onkel Peter (im Original: Nancys Vater, Carson Drew) wohnte und sie wohl gar keine Anstalten machte, jemals wieder in die Heimat zurückzukehren. Was mir auch auffiel war, wie langweilig diese Bücher doch eigentlich waren, verglichen mit den Abenteuern der Drei Fragezeichen.… Weiterlesen “Carolyne Keene: Die verborgene Treppe”