bookmark_borderGaye Knowles: Auf geheimnisvoller Spur

Ich hatte schon als Kind Probleme, an einem Bücherstand vorbeizugehen – die Kombination aus Buch und Flohmarkt war unwiderstehlich: Da gab es nicht nur Schnäppchen – da gab es vor allem einmalige Chancen, ein Buch zu bekommen, das es vielleicht gar nicht mehr gab! Und so hörte ich mit gut neun Jahren auf, mir von meinem Taschengeld Eis zu kaufen, und wandelte es lieber in Bücher um. Früher hätte es auch wenig Sinn gemacht, aber mit neun Jahren bekam ich 1,25 DM pro Woche, und das entsprach etwa einem Flohmarktbuch. Oder, wenn ich das Geld sparte, konnte ich mir einmal im Monat ein neues Taschenbuch kaufen – was ich eher selten tat, gemessen daran, dass ein neues Buch so viel kostete wie fünf vom Flohmarkt.

Und so kamen einige seltene und einige seltsame Schätze zusammen, Kinderbücher aus verschiedenen Jahrzehnten, die heute gesuchte Sammelstücke sein könnten – wenn es sich nicht bei einem Großteil von ihnen um aussortierte Exemplare aus der Pfarrbücherei handelte. So viele Flohmärkte gab es bei uns auf dem Dorf nämlich nicht. Trotzdem, ich habe diese Bücher alle noch und bin doch sehr zufrieden mit meinem neunjährigen Geschmack. Wenn ich krank werde und mit Fieber im Bett liege, mache ich mich bevorzugt über meine alten Kinderbücher her – Bücher, die ich schon oft oder zumindest mehrmals gelesen habe, die keine großen und anstrengenden Überraschungen mehr bieten und dafür anständige Unterhaltung liefern. Vor allem jetzt, wo mich die Grippe gepackt hat und wir keinen Fernseher mehr haben. Hätte ich sonst den ganzen Tag lang Talk- und Gerichtsshows geglotzt, lese ich mich nun also querbeet durch meine Kindheit und lande so bei Büchern, die ich schon jahrelang nicht mehr von innen gesehen habe, so auch bei dem vorgeblichen Blyton-Verschnitt Auf geheimnisvoller Spur

Tatsächlich ähnelt dieses Buch in vielerlei Hinsicht einem Erguss der legendären britischen Vielschreiberin – schon der Originaltitel The Islanders follow a clue zeigt, dass es sich ursprünglich um einen Reihentitel handelt.… Weiterlesen “Gaye Knowles: Auf geheimnisvoller Spur”

bookmark_borderDorothy Canfield Fisher: Das allerbeste Apfelmus

Da steht ein kleines Mädchen in einem buntbedruckten Baumwollkleid mitten in einem Kornfeld, eine Weizengarbe in Händen, und blickt irgendwie orientierungslos nach links aus dem Bild hinaus, auf jedenfall nicht dorthin, wo in schlecht kontrastierten roten Buchstaben der Titel des Buches steht… Wirklich, mit diesem Cover hätte ich das Buch noch nicht mal in der Bücherei angefaßt! Selten, von meiner Ausgabe von Daddy Langbein einmal abgesehen, hatte ich es hier mit einer derart verunglückten Buchgestaltung zu tun. Denn Betsy, die junge Heldin aus Das allerbeste Apfelmus, lebt lange vor bedruckten Baumwollkleidern und setzt auch das ganze Buch über keinen Fuß in ein Kornfeld – was weder ihr, noch der Geschichte abträglich ist.

Dass ich dieses Buch zu meinen allerliebsten Kinderbüchern zähle, verdankt es der Tatsache, dass das Exemplar in unserer Schülerbücherei deutlich ansprechender aussah. Daher wurde es auch viel gelesen – von mir nämlich. Einmal pro Schuljahr lieh ich es mir aus, und auf der Leihkarte konnte man schön beobachten, wie sich meine Handschrift vom sechsten bis zum zehnten Schuljahr veränderte – bis ich dann irgendwann nicht mehr zur Schule ging, sondern eine Buchhandelsausbildung machte, und auf die Idee kam, mir dieses Kleinod endlich selbst zuzulegen. Der Großhandelskatalog zeigte, zumindest damals, keine Cover. Denn, ganz ehrlich, wenn ich gewusst hätte, was mich erwartet – ich hätte mich lieber auf die Suche nach einem antiquarischem Exemplar gemacht. Oder noch besser dem englischen Original. Doch es war in dem Jahr, bevor ich mir das Internet nutzbar machte, und das heißt: Ich wusste es noch nicht besser.… Weiterlesen “Dorothy Canfield Fisher: Das allerbeste Apfelmus”

bookmark_borderGunilla Banks: Fräulein Lindbloms Klasse 2E

Unsere Pfarrbücherei, in die ich sehr oft ging, bevor ich Fahrschülerin wurde und mir mit meiner Monatskarte die große Stadtbücherei näher rückte, hatte sicher mehr als ein Dutzend Bücher, aber es ergab sich, dass ich mir irgendwie immer wieder die gleichen auslieh, mit schöner Regelmäßigkeit einmal pro Jahr. Am besten von allen gefiel mir Fräulein Lindbloms Klasse 2E – ein Kinderbuch, dessen Titel die gereimte Assoziation mit Fräulein Smillas Gespür für Schnee völlig unverdient weckt. Lange Jahre, nachdem ich der Pfarrbücherei entwachsen war, habe ich es mir dann endlich selbst gekauft und es nun, wiederum zehn Jahre später, noch einmal gelesen. Und es war wieder ein Vergnügen, aber diesmal mit einem anderen Hintergrund:

Ich wurde 1981 eingeschult, mitten im Ruhrgebiet, in Castrop-Rauxel-Ickern, Marktschule, und folglich war ich 1982 im zweiten Schuljahr, Klasse 2C bei Frau H.. Fräulein Lindblom ist 1978 erschienen – vier Jahre machen nicht viel aus, und somit sind dieses Buch und ich quasi Zeitgenossen. Jede Seite ließ mich Parallelen ziehen – war das bei uns damals auch so? Und war Frau H. nicht eine tolle Lehrerin? Und hatte ich in Ickern nicht die beiden besten Grundschuljahre, die sich ein Kind nur wünschen kann? Schwärmerei über Schwärmerei, bei der jedoch eines mehr und mehr offensichtlich wurde: Egal was auf dem Cover stehen mag, Fräulein Lindbloms Klasse 2E ist nicht »Die witzigste Schulgeschichte der Welt«. Und egal was im Klappentext steht, solch eine Lehrerin wünsche ich eigentlich niemandem.

Die Lehrerin, Fräulein Lindblom, ist ohne jeden Zweifel eine ganz liebe. Aber sie kann nicht mit Kindern umgehen.… Weiterlesen “Gunilla Banks: Fräulein Lindbloms Klasse 2E”

bookmark_borderGarth Stein: Seelendiebe

Wie oft habe ich mich schon über ein eigentlich spannendes Schauerbuch geärgert, nur weil die unerklärlichen Phänomene dann auf einen alten Indianerfriedhof zurückzuführen waren? Angefangen mit Friedhof der Kuscheltiere, was ich mit dreizehn Jahren lesen musste, um die Freundschaft einer Mitschülerin zu gewinnen (und sie war es ebenso wenig wert wie das dazugehörige Buch), habe ich da eine Aversion entwickelt. Keine Indianerbücher mehr für mich. Bis ich jetzt plötzlich ein solches Buch in Händen halte, über vierhundert Seiten dick und doch gelesen binnen eines Tages. Und alles nur wegen eines Covers, das nicht einmal wirklich gut zum Inhalt passt, und wegen eines Titels, der dem englischen Original nicht das Wasser reichen kann.

Raven stole the Moon heißt dieses Buch im Original – ein sehr schöner Titel, und vermutlich hätte er mich doch weniger angesprochen als Seelendiebe. Dazu ein Cover, bei dem sich ein paar gespiegelte Flügel über ein undefiniertes beiges Gewässer beziehungsweise Vorder- und Rückseite spannen – Christoph zumindest lachte sehr, als er das Buch sah, und meinte, er wisse genau, warum ich mir das ausgeliehen hätte: Erinnert es doch irgendwie sehr an das Cover meines ersten selbstverlegten Buches, Engelsschatten, und der Titel passt auch noch in die Richtung. Dabei sind die Flügel wirklich irreführend. Zwar geht es auch ein wenig um Rabe, Totem der Tlingit-First Nation, aber die eigentlichen Stars dieses Buches sind die Otter. Was sich wieder gut trifft, denn ich mag Otter sehr. Und noch besser ist, dass die Tlingit ihre Toten verbrennen: Darum haben sie auch keine Indianerfriedhöfe.… Weiterlesen “Garth Stein: Seelendiebe”

bookmark_borderMaurice Sandoz: Das Labyrinth

Fürwahr, ein mysteriöses Buch: Es geriet mir in der Bücherei in die Finger, ohne dass ich lange danach gesucht hätte, und ohne dass ich mich in den vergangenen Jahren jemals daran erinnert hätte, erkannte ich es doch sofort wieder: Das Labyrinth von Maurice Sandoz. Ein Buch, das ich Anfang der neunziger Jahre für längere Zeit ausgeliehen hatte – ich erinnere mich, wie es auf der Ablage neben meinem Bett stand zusammen mit den anderen ungelesenen Büchereibüchern, und dann muss ich es wohl, nach diversen Verlängerungen, der Bücherei zurückgegeben haben: Gelesen hatte ich es offenbar nicht, denn nichts vom Inhalt war auch nur irgendwie in meinem Kopf zurückgeblieben, und ich habe sonst ein gutes Gedächtnis, was Bücher angeht. Ich lieh es also wieder aus, vor einer Woche, um endlich das Lesen nachzuholen: Und als ich es aufschlug, erlebte ich eine Überraschung. Direkt auf dem Vorsatzblatt prangte ein mysteriöses Zeichen. Es sah aus wie ein M, in Bleistift in die rechte untere Ecke gezeichnet. Ich kannte dieses Zeichen. Es war mein eigenes.

So pflegte ich in meiner wildbewegten Jugend Bücher, die ich entliehen und gelesen hatte, zu kennzeichnen – nicht, um sie nicht versehentlich nochmal zu leihen, sondern um mein Revier zu markieren. So sind sie, die aufstrebenden Jungbibliothekarinnen (und ehe sich nun jemand aufregt, ich habe natürlich immer nur weiche Bleistifte benutzt – die hätten sich schnell wieder wegradieren lassen, ohne dem Buch zu schaden). Mein Zeichen in einem Buch ohne Erinnerung… Sollte ich es etwa doch schon gelesen haben? Meine Neugier war geweckt.… Weiterlesen “Maurice Sandoz: Das Labyrinth”

bookmark_borderAnne Fine: Die Steinmenagerie

Eigentlich hätte ich es besser wissen müssen, als nochmal ein Buch von Anne Fine zu versuchen, genauer gesagt: Als nochmal zu versuchen, ein Buch von Anne Fine gut zu finden. Sie ist eine hochgelobt Autorin, bekannt für die Romanvorlage zum Film Mrs. Doubtfire – was ich nicht gelesen habe, da ich den Film selbst schon unerträglich fand – und verschiedene andere Adoleszenzromane, die sich allesamt nicht einigen können, ob sie nun für Kinder oder für Erwachsene geschrieben sind. Als Jugendliche las ich ihr Werk Kuh-Lotto und war über alle Maßen enttäuscht davon. Ähnlich erging es mir nun mit der Steinmenagerie.

Der direkte Vergleich, dem sich dieses Buch stellen musste, waren Joan Aikens Schattengäste: Beides sind Erwachsenenbücher mit jugendlichem Helden, beide erschienen erstmals 1980, beide wurden in auf Deutsch vom Diogenes-Verlag herausgegeben, der einen sehr guten literarischen Ruf hat und sich den auch etwas kosten lässt. Ebenso schön wie streng aufgemacht und somit eindeutig nicht auf Kinder abzielend, gut übersetzt – und da enden die Parallelen dann leider auch schon. Denn leider ist Die Steinmenagerie, wie ich es nach meinen Erfahrungen hätte erwarten müssen, ein schnarchlangweiliges Stück Zeitverschwendung: Nicht nur für den Leser, sondern eigentlich schon für die Autorin. Sehr böse muss ich sagen: Anne Fine ist die Sally Field der Literatur, und ihr Buch ein verzichtbares Stück Betroffenheitskino.

Pubertierender Jugendlicher trifft auf dem Gelände eines Irrenhauses, in den Ruinen eines verlassenen Zoos, auf zwei kauzige Aussteiger, die seiner schwermütigen Tante zu neuem Lebensmut verhelfen – so schnell lässt sich die Geschichte zusammenfassen, und schon muss man sie nicht mehr lesen: Man fülle einfach alle Lücken mit Stereotypen aus.… Weiterlesen “Anne Fine: Die Steinmenagerie”

bookmark_borderJohn Harwood: Das Haus der vergessenen Bilder

So eine Bahnreise nach München ist immer ein Grund, vier Bücher innerhalb von wenigen Tagen zu lesen: Zwei auf der Hinfahrt, zwei auf der Rückfahrt. Soweit der Plan, und so war ich diesmal gut eingedeckt mit Literatur. Das Haus der vergessenen Bilder sollte das erste auf der Rückfahrt sein, dann wurde es aber das einzige: Ich hatte seine Dicke unterschätzt. Aber auch seine Spannung.

Wie bei allen Büchern, deren deutscher Titel mit Das Haus der/des … beginnt, muss ich aber auch hier wieder über die Namenswahl meckern: Dieses hier heißt im Original The Ghost Writer, und dieser Titel ist wirklich perfekt gewählt, treffend und vielseitig. Vergessene Bilder passt dagegen nicht so. Zwar spielen Bilder im ganzen Buch eine große Rolle, alle in die Rahmenhandlung eingebauten Geistergeschichten handeln irgendwie von Bildern, und trotzdem: Im Vergleich zum Original ist es nicht das Wahre. Allerdings hätte das Buch mit einem anderen, weniger stereotypen Titel, nicht in mein Mystery-Beuteschema gepasst und wäre nicht so ohne weiteres von mir ausgeliehen worden. Ich war ja wieder auf der Suche nach geheimnisvollen Häusern und nichts nach irgendwelchen Geistergeschichten. So aber kam ich endlich einmal auf meine Kosten, und dazu noch an ein wirklich gutes Buch.

An Stereotypen soll es hier nicht mangeln: Aber ich bin sicher, dass sich zu jedem verfallen-verlassenen Haus ein dunkles Geheimnis auftreiben lässt, denn ohne zwingenden Grund lässt man ein schönes altes Haus mitsamt Bibliothek, Möbeln und Bildern nicht einfach so verwildern. Vielleicht bin ich traumatisiert: Jeden Tag fuhr mich mein Schulbus an ebenso einer alten verlassenen Villa vorbei, und jeden Tag nahm ich mir vor, dort einmal hineinzugehen – Mitschüler, die es getan hatten, berichteten von den alten Möbeln, von Fotoalben, die auf dem Boden herumlagen… Die Chance ist vertan, das Haus wurde inzwischen abgerissen, und heute steht dort ein Supermarkt.… Weiterlesen “John Harwood: Das Haus der vergessenen Bilder”